1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Belarus hat "gewählt"

Roman Goncharenko24. September 2012

Keine Überraschungen: Auch im neuen belarussischen Parlament wird es wohl keine Opposition geben. Die Macht von Präsident Alexander Lukaschenko, des "letzten Diktators Europas", bleibt unangefochten.

https://p.dw.com/p/16DBF
Präsident Alexander Lukaschenko bei der Stimmabgabe (Foto: REUTERS)
Präsident Alexander Lukaschenko bei der StimmabgabeBild: REUTERS

Ein älterer Herr im Regenmantel lächelt: "Ja, ich habe abgestimmt." Er strahlt, als hätte er eine wichtige Aufgabe erledigt. Der Rentner hat am Sonntag (23.09.2012) in einem Wahllokal in der belarussischen Hauptstadt Minsk seine Stimme bei der Parlamentswahl abgegeben. Für ihn war die Teilnahme wie zu Sowjetzeiten eine Pflicht. Wen er gewählt hat, will der Mann nicht verraten. Nur so viel: "Es ist kein Politiker." Sein Kandidat habe dafür gesorgt, dass eine löchrige Straße in der Nachbarschaft neu asphaltiert worden sei, sagt der grauhaarige Wähler.

Die Auswahl an Kandidaten war für die rund sieben Millionen Wahlberechtigten überschaubar. In einer Direktwahl mussten sie aus 293 Kandidaten 110 Parlamentsabgeordnete wählen. An einer Wand im Wahlraum der Minsker Schule, in der der ältere Herr abgestimmt hat, hängen Fotos von fünf Kandidaten: zwei Unternehmer, ein Parlamentarier, ein Sprachwissenschaftler und eine Arbeitslose. Eine kleine Notiz informiert darüber, dass eine Person ihre Kandidatur zurückgezogen habe. Kein Wort darüber, dass es sich um einen Oppositionellen handelt, dessen Partei zum Boykott der Wahl aufgerufen hatte. Die Worte "Boykott" oder "Opposition" sind entweder gar nicht oder nur selten zu hören, als das staatliche Fernsehen am Sonntagabend eine Bilanz der Wahl zieht. Stattdessen ist von einem "Fest des Parlamentarismus" die Rede.

Wahlplakate in Minsk (Foto:Sergei Grits/AP/dapd)
Sieben Millionen Belarussen waren zur Wahl aufgerufenBild: dapd

Wähler von der Staatsmacht abhängig

Die Wahlbeteiligung soll bei 74 Prozent gelegen haben. Ob die amtliche Zahl stimmt, wird jedoch bezweifelt. Opposition und Wahlbeobachter von Nichtregierungsorganisationen kritisieren vor allem die vorzeitige Abstimmung. Rund ein Viertel der Wähler soll bereits in der Woche vor dem eigentlichen Wahltag abgestimmt haben. Kritiker befürchten, dass dadurch Manipulationen erleichtert wurden.

Wie viele tatsächlich freiwillig zur Abstimmung kamen, ist schwer einzuschätzen. Ein Großteil der belarussischen Bevölkerung arbeite in staatlichen Betrieben und sei von der Regierung abhängig. Viele würden gezwungen, zur Wahl zu gehen, berichtet der Minsker Politikexperte Waleri Karbalewitsch. Er spricht von einer "gelenkten Wahl". Die Leiterin der Zentralen Wahlkommission, Lidija Jermoschina, weist solche Vorwürfe zurück. Es habe lediglich kleine Unregelmäßigkeiten gegeben, sagte sie im Fernsehen.

Beamtenparlament ohne Einfluss

Der eigentliche Sieger der Wahl trat zwar nicht an, doch er stand lange vor der Abstimmung fest: Präsident Alexander Lukaschenko. Der 58-Jährige regiert das osteuropäische Land seit fast zwei Jahrzehnten autoritär. Westliche Medien und manche Politiker bezeichnen ihn als "letzten Diktator Europas". Demokratische Wahlen hat es nach Einschätzungen der Beobachter der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) in Belarus seit Mitte der 1990er Jahre nicht mehr gegeben.

Plenarsaal des belarussischen Parlaments (Foto: ITAR-TASS / BelTa)
Im Parlament sitzen meist keine Parteipolitiker, sondern BeamteBild: picture-alliance/dpa

Das Parlament in Lukaschenkos Belarus unterscheidet sich nicht nur vom Westen, sondern auch von den ehemaligen Sowjetrepubliken Russland und Ukraine. Es gibt weder eine Regierungspartei, noch Fraktionen. Im Parlament sitzen meist keine Parteipolitiker, sondern Beamte oder Vertreter staatlicher Unternehmen. Hitzige Debatten werden nicht geführt. Kritik an der Regierung gibt es nicht. Die Legislative habe kaum Einfluss auf die Politik, so der Minsker Politologe Karbalewitsch. Das wisse die Bevölkerung: "Das Parlament wird nicht als Machtfaktor wahrgenommen", sagt der Politologe.

Oppositionelle wird es im belarussischen Parlament wohl nicht geben. Zwei führende Oppositionsparteien hatten zum Boykott aufgerufen und ihre Kandidaten zurückgezogen. Dazu gehört die liberal-konservative "Vereinigte Bürgerpartei". Mehr als 30 aufgezeichnete Wahlkampfspots seien vom staatlichen Rundfunk "aus Zensurgründen" nicht ausgestrahlt worden, sagte der Parteivorsitzende Anatoli Lebedko im Gespräch mit der Deutschen Welle. Die Parlamentswahl war für ihn nur "eine Inszenierung". Kleinere Oppositionsparteien blieben dagegen im Rennen. Für Beobachter ist das ein Zeichen, wie uneins die Gegner des Regimes untereinander sind.

Portrit von Anatoli Lebedko, Leiter der Partei "Vereinte Bürgerpartei" (Foto:DW)
Anatoli Lebedko spricht von "inszenierter Parlamentswahl"Bild: DW

Keine Proteste erwartet

Experten wie Waleri Karbalewitsch meinen, dass die Parlamentswahl diesmal noch restriktiver als vor vier Jahren abgelaufen sei. "2008 hatte Belarus noch eine Politik des Dialogs mit der Europäischen Union geführt", sagt der Politologe. Damals habe es bei der Registrierung keine massenhaften Ablehnungen von Oppositionskandidaten gegeben. Auch westliche Wahlbeobachter hätten ins Land reisen können.

Proteste wie in Russland erwartet der Experte jedoch nicht. Die Menschen seien eingeschüchtert und hätten auch kein Vertrauen zur Opposition. Nicht einmal die prekäre Wirtschaftslage treibe die Belarussen zum Protest auf die Straßen.

"Russische Mauer" schützt Lukaschenko

Darüber, wie sich die Beziehungen zwischen EU und Weißrussland entwickeln werden, gibt es unterschiedliche Meinungen. Seit Lukaschenkos umstrittenem Sieg bei der Präsidentenwahl 2010 ist das Verhältnis zum Westen angespannt. Damals wurden Proteste der Opposition gewaltsam aufgelöst. Bis heute sitzen 16 Politiker in Gefängnissen. Die EU reagierte mit Sanktionen. Gegen Präsident Lukaschenko und rund 240 belarussische Beamte, Richter und Unternehmer wurden Einreiseverbote verhängt, ihre Auslandskonten sind gesperrt.

Polizeieinsatz gegen Demonstranten nach der Präsidentenwahl 2010(Foto: Getty Images)
Polizeieinsatz gegen Demonstranten nach der Präsidentenwahl 2010Bild: ALEXEY GROMOV/AFP/Getty Images

Europa habe keinen klaren Plan, wie es mit dem autoritären Regime umgehen soll, moniert der Politologe Karbalewitsch. Er glaubt, dass die von der EU verhängten Sanktionen das Regime nicht wirklich treffen. Denn Lukaschenko könne auf die Hilfe des großen Bruders im Osten zählen: Russland. Dabei gehe es nicht nur um Milliardenkredite, sondern um billige Öl- und Gaslieferungen. Ein westlicher Beobachter in Minsk beschreibt die Lage so: "Lukaschenko kann sich hinter einer Mauer verstecken. Solange diese Mauer eine russische ist, ist es ihm egal, welcher Baum sich an ihr von außen kratzt."