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Disziplin statt Spaß

Olivia Fritz28. November 2012

Schlafen, essen, Schule, Training, Wettkampf – so sieht der Alltag junger Leistungssportler für viele Jahre aus. Aus Liebe zu ihrem Sport üben sie Verzicht und werden früh erwachsen. Doch wie gehen sie damit um?

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Turnerin Nadine Jarosch fällt vom Barren, Trainer Michael Gruhl schaut zu. (Foto:dapd)
Bild: AP

"Die normale Trainingswoche bedeutet für eine normale Schülerin der elften Klasse G8 etwa 30 Stunden Schulunterricht plus 22 bis 24 Trainingsstunden. Wir haben sehr hohe Trainingsumfänge." Michael Gruhl ist Kunstturn-Trainer. Seine Schülerin ist die 17-jährige Olympiateilnehmerin Nadine Jarosch. Vor den Spielen in London war das Trainingspensum enorm. 50 bis 60 Stunden Schule und Training pro Woche erfordern viel Disziplin. Vor allem, wenn draußen die Sonne scheint und die Freundinnen Eis essen oder shoppen gehen. "Manchmal gibt es solche Tage, da hat man keinen Bock und würde lieber was anderes machen", gibt die durchtrainierte Sportlerin unumwunden zu. "Das ist aber in jeder Sportart so, das ist ganz normal."

Mit den Zielen Olympia oder Weltmeisterschaft vor Augen steigt jedoch die Motivation gewaltig. Auch wenn Nadine die Turnhalle öfter sieht als die meisten ihrer Freunde, trainiert sie ohne Unterlass für das große Ziel. Dazu kommen die vielen Wettkämpfe im Vorfeld, die meist rund um den Globus stattfinden. Viele Reisen stehen also auch auf ihrem Programm, und ein wenig Geld verdienen kann man bei entsprechender Platzierung auch. Für eine 17-Jährige ist das sehr reizvoll und eine aufregende Zeit.

Jede Minute ist durchgeplant

Nadine Jarosch ist bereits in der deutschen Turnelite angekommen. Viele Jugendliche, die ebenfalls Leistungssport betrieben, sind davon noch ganz weit entfernt. Dennoch absolvieren sie stetig ihr straffes Trainingsprogramm. Leon Wilhemsen zum Beispiel spielt Hockey und bezeichnet sich selbst als diszipliniert, ehrgeizig und strebsam. "Wenn man das nicht ist, denke ich, dann bricht man irgendwann ein und kann die Ziele, die man verfolgt, nicht erreichen", sagt er und klingt dabei ziemlich erwachsen. "Im optimalen Fall wäre es bei mir der A-Kader. Das ist ein sehr schwerer und harter Weg, aber man gibt sein Bestes."

Leon Wilhelmsen, Nachwuchs-Hockeyspieler (Foto: privat)
Der 16-jährige Hockeyspieler Leon Wilhelmsen träumt vom Aufstieg in den A-KaderBild: privat

Leon ist für seinen Hockeytraum in ein Sportinternat gegangen, dort gibt es einen geregelten und durchstrukturierten Tagesablauf. Neben Schule, Training, essen und Schulaufgaben passt nicht mehr viel Freizeit in den Alltag des 16-Jährigen. "Das ist das Leben eines Leistungssportlers. Man muss das eben tun, um noch besser zu werden und besser zu bleiben als andere." Doch natürlich gibt es auch ein Leben neben dem Sport und da beneidet er seine Schulkollegen manchmal ein wenig. "Klar ist das nicht immer schön, und ab und zu tut es auch weh, wenn die anderen Jungs mit den hübschen Mädchen in die Disko gehen. Dann würde man natürlich gern mit. Aber das geht leider nicht. Man kann eben nicht, man muss zum Training. Aber in den Ferien nutzt man das dann vielleicht ein bisschen mehr."

Wer bleibt auf der Strecke?

Freunde können das manchmal nicht verstehen, Eltern fürchten, dass die Schule auf der Strecke bleibt oder ihr Kind. Denn wenn die Kindheit dem Sport gehört – wo bleibt dann die kindgerechte Entwicklung? Spaß, Toben, Blödsinn machen mit den Kumpels? Max Lukes wohnt wie Leon ebenfalls im Internat und spielt Eishockey. Als er seine Entscheidung kundtat, auf ein Sportinternat zu wechseln und künftig noch mehr zu trainieren, stieß er auf unterschiedliche Reaktionen. "Die vom Eishockey verstehen das schon. Und die von der Schule zum Teil auch, weil die wissen, dass ich eishockeyverrückt bin." Selbstverständlich vermisse er seine Freunde aus der Heimat in Bayern. "Es sei natürlich schade, sagen sie, dass ich nicht mehr so oft bei ihnen sein kann. Weil wir schon immer viel zusammen gemacht haben und viel Spaß gehabt haben. Aber das wird schon wieder kommen. Zur Weihnachtszeit fahre ich ja wieder runter."

Max Lukes, Eishockey-Nachwuchsspieler (Kölner Haie). (Foto: privat)
Eishockeyspieler Max Lukes lebt im Internat und vermisst seine Freunde in der HeimatBild: privat

Die Ferien als Ausgleich – Kraft tanken bei der Familie und den alten Freunden. Das nehmen sich die beiden Jungs ganz bewusst. Doch weil sich die Jugendlichen oft mit gleichgesinnten Sportlern umgeben, die sie ständig im Training sehen, fällt ihnen der Verzicht oft nicht mehr so auf und auch nicht so schwer. Zudem gibt es große Unterschiede bei den einzelnen Sportarten. Mannschaftssportarten haben andere Trainingsschwerpunkte und -zeiten als Einzelsportarten wie das Kunstturnen, das sehr aufwändig ist. In einer Gruppe zu arbeiten ist ebenfalls anders als das Einzeltraining mit dem Coach oder die einsamen Runden ganz allein im Schwimmbecken oder auf dem See beim Kanufahren.

Kindheit nicht verpasst

Sich selbst immer wieder zu disziplinieren und eigene Grenzen zu überwinden, mache auf Dauer keinen Spaß, glauben viele. Dennoch sind es meist die jungen Sportler selbst, die den Wunsch haben, ihren Sport leistungsmäßig auszuüben – nicht etwa die Eltern, sagt Oliver Heitmann, der leitende Pädagoge im Sportinternat Köln. Und das auch in Sportarten, in denen es nicht viel Geld zu verdienen gibt. Vielen sei deshalb die Bedeutung der Schulausbildung sehr bewusst. Doch Disziplin beim Sport bedeutet nicht im Umkehrschluss auch Disziplin in der Schule, erklärt der Pädagoge. "Es ist schon so, dass bei sehr vielen hier das Hauptaugenmerk auf dem Sport liegt, weil hier der große Ehrgeiz vorhanden ist und die ganz großen Ziele vor Augen liegen." Das sei bei den Fußballern die Profikarriere und bei anderen Sportarten die Olympia-Teilnahme oder sogar das olympische Gold. "Es ist so, dass viele in der Schule gut funktionieren und wissen, dass sie durch eine gute Schulausbildung auch ihren weiteren Lebensweg aufbauen." Aber es gebe natürlich auch welche, wie auch bei anderen Jugendlichen, die die Schule schleifen lassen oder auch nicht die Disziplin haben, was Schulaufgaben angeht.

Heitmann ist dennoch überzeugt, dass es trotz des straffen Tagesablaufs und des immensen Trainingsaufwands genug Nischen gebe, in denen die Jugend ausgelebt werde. "Sie können natürlich nicht in der Regelmäßigkeit feiern wie andere Jugendliche." Aber jeder von ihnen habe die Chance, in gewissen Phasen sein Leben zu genießen. "Man kann schon sagen, dass alle Sportler, die hier wohnen, auch eine Jugend haben, wo sie nicht in zwei, drei Jahren denken, da habe ich alles verpasst." Und spätestens, wenn der große Tag kommt, auf den sie so viele Jahre hingearbeitet haben, sind die vielen harten Stunden des Trainings und der Entbehrungen zumindest für einen kurzen Augenblick sowieso vergessen.