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Fluch und Segen der Flexibilität

Anna Peters1. Mai 2013

In immer mehr deutschen Firmen gibt es flexible Arbeitszeitmodelle. Damit wird es für die Angestellten einfacher, Familie, Freizeit und Beruf unter einen Hut zu bringen. Aber die Freiheit hat auch ihren Preis.

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Eine junge Mutter sitzt mit ihrem Baby an ihrem Schreibtisch - (Foto: Tim Brakemeier/dpa)
Bild: picture-alliance/dpa

Freitag, 14 Uhr, Ulrike Pferner verlässt ihr Büro in Dingelstädt in Thüringen. An diesem Nachmittag muss ihr dreijähriger Sohn zur Kindergruppe. Für ihren Arbeitgeber ist es kein Problem, wenn Pferner sich einen halben Tag freinimmt, obwohl sie vollzeitbeschäftigt ist. Sie arbeitet beim Bauunternehmen "Krieger + Schramm" als Assistentin.

Die Firma wurde vor einem Jahr von der Bundesregierung in der Kategorie "Familienbewusste Arbeitszeiten" zum familienfreundlichsten Kleinunternehmen Deutschlands gekürt. Wer hier arbeitet, erhält einen bezahlten Kindergartenplatz für den Nachwuchs, es gibt in den Büroräumen eine Hausaufgabenecke für Schulkinder und noch so einige Extras, wie bezahlte Massagen und Rückenschule.

Ulrike Pferner von "Krieger + Schramm" - (Foto: privat)
Ulrike Pferner: "Man muss konsequent sein"Bild: privat

Immer mehr Unternehmen in Deutschland folgen diesem Trend. Laut Bundeswirtschaftsministerium bieten bereits vier von fünf Firmen flexible Arbeitszeitmodelle an.

Vorteile auch für Unternehmen

"Flexible Arbeitszeitmodelle bieten vielfältige Vorteile", sagt Roland Wolf, der Leiter der Abteilung Arbeits- und Tarifrecht der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA). "Insbesondere bieten sie dem Arbeitnehmer die Möglichkeit - nach Maßgabe betrieblicher Anforderung und Möglichkeiten - familiäre Pflichten, familiäre Interessen und Arbeitszeit in einen Einklang zu bringen."

Auch für die Unternehmen hat es Vorteile, bei den Arbeitszeiten großzügig zu sein: Zufriedene Mitarbeiter sind in der Regel auch leistungsbereiter. Manuela Maschke, Expertin für tarifliche Vereinbarungen bei der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung nennt einen weiteren Grund: Firmen mit flexibilisierten Arbeitszeiten können besser kapazitätsorientiert produzieren. "Also wenn viel los ist, braucht man Beschäftigte, ist wenig los, braucht man wenig Beschäftigte, sodass man entsprechend variieren kann", erläutert Maschke.

Roland Wolf, Leiter der Abteilung Arbeits- und Tarifrecht der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände - (Foto: BDA)
Roland Wolf: "Deutschland spielt Vorreiterrolle"Bild: BDA

Größe des Unternehmens spielt zentrale Rolle

Großkonzerne, wie zum Beispiel Bosch, BASF oder Volkswagen, werben schon seit Jahren mit familienfreundlichen Angeboten und speziellen Arbeitszeitmodellen um die sogenannten "High Potentials", die besten Nachwuchskräfte.

Allerdings fällt es Konzernen mit ihren vielen Mitarbeitern in der Regel leichter entsprechende Angebote zu machen. "Sicherlich spielt auch bei der Einrichtung von Arbeitszeitkonten und bei der Gewährung von Teilzeit die Größe des Unternehmens eine ganz zentrale Rolle", so BDA-Experte Wolf im DW-Interview. Dass aber nicht nur Konzerne, sondern auch Kleinunternehmen Arbeitszeitkonten und Home-Office ermöglichen können, zeigt das Beispiel von "Krieger + Schramm" aus Dingelstädt.

Ulrike Pferner arbeitet bald sieben Jahre für diese Firma. Wie flexibel das Unternehmen ist, zeigte sich, als die Assistentin schwanger wurde. Nach ihrer Babypause hat sie dort zunächst Teilzeit gearbeitet. "Dann habe ich erst einmal gesagt, 20 Stunden die Woche an vier Tagen bleibe ich hier. Und zehn Stunden die Woche arbeite ich von Zuhause aus." Nach und nach hat sie ihre Arbeitszeit dann wieder aufgestockt. Doch wenn ihr Kind beispielsweise einmal krank ist, meldet sie sich ab, arbeitet aber von Zuhause aus weiter.

Deutschland Vorreiter bei flexiblen Arbeitszeiten

Die Flexibilität der Arbeitszeit hat aber auch ihren Preis. "Das Stichwort an erster Stelle ist Entgrenzung", sagt Manuela Maschke von der Böckler-Stiftung, "also dass die Grenzen zwischen privaten und beruflichen Zeiten immer mehr verschwimmen." Jüngst ergab eine Umfrage des Meinungsforschungsinstituts "Aris 505", dass rund ein Drittel der Arbeitnehmer regelmäßig von Zuhause arbeitet. Die Mehrheit der Befragten gab an, dass sich so Beruf und Familie besser vereinbaren lassen. Gleichzeitig bemängelte aber auch jeder zweite Befragte, dass sich durch Telearbeit Privates und Berufliches zu stark vermischten.

Die Möglichkeit, die eigene Arbeitszeit eigenständig festzulegen, kann außerdem dazu führen, dass Zeit zur Erholung verloren geht. "Wenn ich am Freitag beruflich etwas zu tun habe und sich das noch in den Samstag hineinzieht, dann geht das leicht von der Hand, da ich die entsprechende technische Ausstattung habe und von Zuhause arbeiten kann", sagt Expertin Maschke. "Vielleicht kann ich das auch auf mein Arbeitszeitkonto buchen, gehe dann aber wieder am Montag ganz normal in den Job hinein und habe im Prinzip einen Tag Erholung weniger."

Manuela Maschke, Expertin für tarifliche Vereinbarungen bei der Hans-Böckler-Stiftung - (Foto: Manuela Maschke)
Manuela Maschke: "Grenzen zwischen Privatem und Beruflichem verschwimmen"Bild: Manuela Maschke

Die Vollzeitberufstätige Pferner kennt das Phänomen der Entgrenzung aus eigener Erfahrung und rät: "Da muss man selber auch konsequent sein und sagen, jetzt reicht es." Und den PC an einem freien Tag erst gar nicht einschalten. Obwohl die Flexibilität auch ihren Preis hat, möchte Pferner diese im Job aber nicht mehr missen: "Jetzt mit Kind genieße ich auf jeden Fall die ganzen Vorteile von flexiblen Arbeitszeiten."

Roland Wolf von der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände ist überzeugt, dass flexible Arbeitszeitmodelle in Zukunft von immer mehr Unternehmen angeboten werden. Neben den skandinavischen Ländern würde auf diesem Gebiet Deutschland schon jetzt eine Vorreiterrolle spielen.