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Nayyem: "Wir leben in zwei Realitäten"

Anna Grabska2. Mai 2013

Der 3. Mai ist der Tag der Pressefreiheit. Der bekannte ukrainische Journalist Mustafa Nayyem äußert sich im DW-Interview über die schwierigen Arbeitsbedingungen für Journalisten in der Ukraine.

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Mustafa Nayyem (Foto: DW)
Mustafa Nayyem, ukrainischer Journalist und Blogger, Jurymitglied bei DW "The Bobs 2013"Bild: DW

DW: Wie beschreiben Sie die gegenwärtigen Arbeitsbedingungen für Journalisten in der Ukraine?

Mustafa Nayyem: In der Ukraine gibt es zwei Realitäten: In der einen Realität nutzen die Journalisten ihr Recht, auch über kritische Themen zu schreiben und zu sprechen. Das ist die Realität des Internets. Dort kann man offen schreiben und sprechen. Aber leider schenken dem nur wenige Menschen Beachtung. Viele Menschen, darunter gerade ältere Leute, die bei Wahlen eine entscheidende Rolle spielen, nutzen das Internet nicht als Informationsquelle. Für sie gibt es eine andere Realität: das Fernsehen und die großen Medien. Dort haben die Journalisten nicht die Möglichkeit, alle Themen zu beleuchten. Dort haben sie nicht die Freiheit, die sie gerne hätten. Das nutzt die Staatsmacht aus. Die TV-Medien, die großen Einfluss auf die Menschen haben, werden von Personen gesteuert, die loyal zur Staatsmacht sind oder ihr angehören.

Wie werden Medien in der Ukraine finanziert? Gibt es Beispiele für Monopole?

In der Ukraine gibt es sehr viele Medien, bei denen man nicht immer genau weiß, wer letztlich deren Besitzer ist. Deswegen ist es sehr schwierig zu sagen, woher diese Medien ihr Geld bekommen. Viele Medien werden von Offshore-Unternehmen finanziert oder von Menschen, die wir einfach noch nie gesehen haben. Der ukrainische Markt ist derzeit im Wesentlichen zwischen drei Gruppen aufgeteilt. Da ist zunächst der TV-Sender "Inter". Er gehört dem Milliardär Dmytro Firtasch, der zu den Sponsoren der regierenden "Partei der Regionen" zählt. Dann gibt es die Gruppe "StarLightMedia" von Viktor Pintschuk, einem der reichsten Oligarchen der Ukraine. Und schließlich die TV-Station "1+1", die dem ukrainischen Oligarchen Igor Kolomoiski gehört, der ebenfalls mit der "Partei der Regionen" verbunden ist.

Diese drei Gruppen erreichen die meisten Zuschauer und haben die größte Reichweite. Man kann nicht sagen, dass das ein Monopol ist, weil es immerhin drei Personen sind. Aber wir wissen, dass sie Sendefrequenzen in einem undurchsichtigen Verfahren erhielten, während andere Medien sie nicht bekommen haben.

Können ukrainische Journalisten ohne Gefahr darüber berichten, wenn Polizisten, Militärs oder andere Staatsbeamte gegen das Gesetz verstoßen?

Ja, wir können darüber reden und wir tun es auch. Es gibt Journalisten, die sich darauf spezialisieren und deswegen bekommen sie Probleme. Erst vor kurzem wurde beispielsweise ein Journalist der Bürgerinitiative "Straßenkontrolle" von Unbekannten zusammengeschlagen. Er hatte auf der Webseite der Organisation darüber berichtet, wie die Verkehrspolizei selbst gegen Gesetze verstößt. Es gibt eben immer wieder diese Fälle von Drohungen bis hin zu Gewalt gegen Journalisten. Kritische Journalisten müssen auch damit rechnen, dass ihnen gekündigt wird. Man muss leider auch sagen: Wenn wir Journalisten über Rechtsverstöße von Beamten berichten, dann hat dies fast nie irgendwelche Konsequenzen für die Polizei oder jemand anderen.

Können Sie ein aktuelles Beispiel für einen "unbequemen" ukrainischen Journalisten nennen, der wegen seiner beruflichen Tätigkeit Repressionen ausgesetzt war?

Ich würde es so sagen: Es gibt sehr viele Journalisten, die in den vergangenen zwei Jahren deswegen ihre Arbeit aufgeben mussten. Zum Beispiel Serhij Andruschko, der bis 2012 als Korrespondent einer Nachrichtensendung des TV-Senders "STB" gearbeitet hat. Er hatte kritisch über viele Probleme im Land berichtet. Weil aber viele seiner Beiträge schließlich nicht mehr ausgestrahlt wurden, hat er seinen Job gekündigt. Oder die TV-Journalistin Natalia Sokolenko. Sie hat ebenfalls bei "STB" gekündigt, weil es für sie eine Grenze für Kompromisse bei umstrittenen Beiträgen gibt. Diese Journalisten erhielten früher Medienpreise in der Ukraine. Aber sie gingen, weil man sie als unprofessionell bezeichnete und ihnen keine Aufträge mehr geben wollte.

Welches Gewicht hat in der Ukraine die Meinungsfreiheit als Rechtsgut?

Die Meinungsfreiheit ist in einem der ersten Artikel der Verfassung der Ukraine verankert. Die Verfassung steht eigentlich über allen anderen Gesetzen. Aber wenn man schaut, was heute in der Ukraine geschieht und wie mit diesem Gut umgegangen wird, dann sieht man, dass der tatsächliche Umgang mit der Meinungsfreiheit ganz anders ist als das, was in der Verfassung steht. Das sind zwei verschiedene Realitäten.

Gibt es in der Ukraine ein Recht auf Quellen- und Informantenschutz?

Ja, das regelt das "Gesetz über Information". Und wir nutzen dieses Recht auch. Tatsächlich müssen wir unsere Informationsquellen nur nach einem entsprechenden Gerichtsentscheid herausgeben. Bislang gab es nach meiner Kenntnis in der Ukraine keinen Präzedenzfall, bei dem jemand gezwungen wurde, seine Quellen preiszugeben.

Leider missbraucht die Staatsmacht bestehende Gesetze zum Schutz personenbezogener Daten. Immer wieder werden uns so Informationen verweigert, die eigentlich der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden müssten. Das nimmt manchmal absurde Züge an. Da gab es den Fall mit einem Dokument, das die persönliche Unterschrift des Präsidenten hatte. Die Herausgabe dieses Dokuments wurde mit dem Argument verweigert, das eben diese persönliche Unterschrift darunter stand.

Gibt es Gesetze, die Recherchen und Veröffentlichungen zu bestimmten Themen unter Strafe stellen? Welche Themen sind das und welche Strafen gibt es?

Ich kenne kein solches Gesetz. Lediglich Staatsgeheimnisse dürfen nicht Gegenstand öffentlicher Informationen sein.

Mustafa Nayyem ist ukrainischer Blogger und Journalist. Er arbeitet als investigativer Reporter für die bekannte ukrainische Online-Zeitung "Ukrainska Pravda", die von dem im Jahr 2000 ermordeten Journalisten Georgij Gongadze gegründet wurde. In seinem Blog diskutiert Nayyem mit den Lesern vor allem über innenpolitische Entwicklungen in der Ukraine. Außerdem moderierte er eine politische Talk-Sendung bei dem TV-Sender "TVi". Als Journalist engagiert sich Mustafa Nayyem gegen Korruption, Zensur und Fremdenfeindlichkeit.