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Kampf um die "kulturelle Ausnahme"

Bernd Sobolla20. Juni 2013

Kultur ist keine Ware. Um ihre Vielfalt zu bewahren, muss sie geschützt werden. Das geplante Freihandelsabkommen mit den USA sehen viele daher skeptisch - auch wenn Kulturgüter vorerst ausgenommen wurden.

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Charlie Chaplin Retrospektive am Brandenburger Tor (Foto: Bernd Sobolla)
Bild: Bernd Sobolla

Die europäischen Kulturschaffenden sind erleichtert - ein bisschen zumindest. Der Startschuss für die Verhandlungen über ein Freihandelsabkommen zwischen den USA und der Europäischen Union ist gefallen, doch sind Kulturgüter wie Film, Musik und andere Medien bei den Gesprächen mit den USA vorerst ausgeschlossen. In langen Vorverhandlungen hatte Frankreich die EU-Partner davon überzeugen können, diese "kulturelle Ausnahme"-Regelung durchzusetzen. Die Franzosen fürchten unter anderem, dass ihre Filmindustrie großen Schaden nehmen würde, wenn aufgrund eines Freihandelsabkommens europäische Länder ihre Kulturbereiche nicht mehr subventionieren dürften.

Wirtschaftlicher Anschub oder kultureller Untergang?

BLOOMFIELD TOWNSHIP, MI - SEPTEMBER 15: A detailed shot the USA and European Union flags on the clubhouse during the second practice day for the 35th Ryder Cup Matches at the Oakland Hills Country Club on September 15, 2004 in Bloomfield Township, Michigan.. (Photo by Donald Miralle/Getty Images)
Wollen mehr zusammenarbeiten: die USA und die EUBild: Getty Images

Die Freihandelszone TTIP (Transatlantic Trade and Investment Partnership) wäre die größte der Welt. Das Freihandelsabkommen soll die Wirtschaftsleistungen in der EU um 120 Milliarden Euro erhöhen und rund 400.000 neue Arbeitsplätze schaffen. Zölle würden entfallen, technische Standards angeglichen und Unternehmen würden mehr Geld für Forschung und Entwicklung investieren. Eine Freihandelszone ohne "kulturelle Ausnahme"-Regelung hätte jedoch zumindest für die Filmbranche fatale Folgen – und das nicht nur in Frankreich. "Frankreich hat in den Vorverhandlungen nicht nur für sich selbst gesprochen, sondern für die Europäer insgesamt", meint Manuale Stehr, die Präsidentin der Spio (Spitzenorganisation der Filmwirtschaft e.V.). "EU-Länder wie Litauen oder Portugal, in denen nicht so viele Filme produziert werden, wären zwar weniger betroffen, wenn die "kulturelle Ausnahme" fallen würde. Aber gerade auch kleinere Ländern müssen die Möglichkeit haben, sich kulturell auszudrücken."

Auch in Deutschland ist die Film- und Kulturförderung unverzichtbar. Ohne Kulturförderung gäbe es hierzulande kein bedeutendes Filmfestival, keine Gelder für die Verleihung der Bundesfilmpreise und nur ein Bruchteil der Filme könnte produziert werden. Experten schätzen, dass die deutsche Kinofilmproduktion sich um die Hälfte und die von Fernsehfilmen um ein Drittel reduzieren würde.

Deutschland ohne klare Haltung

Während Frankreichs damit drohte, notfalls ein politisches Veto einzulegen, wenn die audiovisuellen Medien nicht als "kulturelle Ausnahme" behandelt würden, zeigt Deutschland keine klare Linie. Kulturstaatsminister Bernd Neumann (CDU) schloss sich der Forderung Frankreichs an und betonte zudem, dass die deutsch-amerikanischen Kulturbeziehungen keine "Einbahnstraße" seien: "Im Filmbereich ist es uns – insbesondere seit der Einführung des Deutschen Filmförderfonds – in den letzten Jahren gelungen, Hollywood nach Deutschland zu holen." Gemeint sind US-Filmproduktionen wie "Inglourious Basterds" oder "Operation Walküre", die in Deutschland gedreht wurden, aktuell entsteht hier zudem George Clooney‘s "Monuments Men". Bundeswirtschaftsminister Philipp Rösler (FDP) hingegen forderte, in die Verhandlungen über die Freihandelszone ohne "Tabus" zu gehen.

Kulturstaatsminister Bernd Neumann
Kulturstaatsminister Bernd NeumannBild: Bundesregierung/Clemens Bilan

Kompromiss auf Zeit

Der Geschäftsführer des Deutschen Kulturrats, Olaf Zimmermann, dankte der französischen Regierung, "dass sie mit ihrer Forderung nach einer Ausnahme des Kultur- und Mediensektors den nun gefundenen Kompromiss erst ermöglicht hat. Der Kompromiss, dass der Kultur- und Mediensektor nur nach Zustimmung durch die EU-Mitgliedstaaten bei den Verhandlungen doch noch einbezogen werden kann, ist ein Etappensieg für die europäische Kultur". Die Mehrheit der EU-Staaten sprach sich aber auch dafür aus, dass die EU-Kommission im Laufe der Verhandlungen vorschlagen kann, den "audiovisuellen" Bereich wieder einzubeziehen, wenn die Regierungen dem zustimmen. Zumal einige EU-Mitglieder fürchten, dass die USA in anderen Bereichen (z.B. genmanipulierte Landwirtschaft, hormonbehandelte Tiere) ebenfalls auf Ausnahmen bestehen könnten.

Szene aus dem Film "Inglourious Basterds" mit Brad Pitt
In Deutschland gedreht: die US-Filmproduktion "Inglourious Basterds" mit Brad Pitt (Mitte)Bild: Francois Duhamel

Produkte oder Kulturgüter?

Der Disput um die "exception culturelle" - so heißt die Ausnahme für den Kultursektor in Frankreich - ist an sich so alt wie das Kino selbst. Schon vor über hundert Jahren stritten sich die USA und Frankreich darüber, ob die Filmbranche eine Industrie sei, wie man in den USA meinte, oder ein Kulturgut, wie Frankreich argumentierte. Frankreich sorgte sich schon immer, dass die eigene Identität verloren gehen könne. "Wenn sie nicht schon morgen von einer dominierenden Kultur beherrscht werden wollen, müssen die Staaten ihre gesetzgeberischen Kompetenzen zu Gunsten ihrer Kunstschaffenden und ihrer Kulturindustrien erhalten", beklagte sich Außenhandelsministerin Nicole Bricq. Am Rande der diesjährigen Filmfestspiele hatten mehr als 5.000 europäische Filmschaffende, darunter renommierte Regisseure wie Volker Schlöndorff, Bertrand Tavernier oder Costa Gavras eine Petition unterzeichnet, die der EU-Kommissarin Androulla Vassiliou übergeben wurde. Selbst Star-Regisseur Steven Spielberg und US-Filmtycoon Harvey Weinstein ("Der englische Patient", "The King's Speech" oder "The Artist"), unterstützten in Cannes die "exception culturelle".

In den USA werden in der Regel Musik, Theater- oder Filmproduktionen nicht subventioniert. Schließlich handelt es sich nach amerikanischem Selbstverständnis um Produkte. Dass die Europäer (und besonders die Franzosen) ihre Filmindustrien subventionieren, ist den Amerikaner schon lange ein Dorn im Auge. Zumal dadurch unterschiedliche Produktionsbedingungen entstehen und die Amerikaner unter den Wettbewerbsnachteilen "leiden". Dass Hollywood-Produktionen in den meisten europäischen Ländern 60 bis 80 Prozent des Kinomarktes dominieren, wird dabei gern übersehen. Amerika wird auch in Zukunft darum kämpfen, den audiovisuellen Bereich in das Freihandelsabkommen mit einzubeziehen. Auch wenn Frankreichs Kulturministerin Aurelie Filippetti beteuert: "Frankreich wird die kulturelle Ausnahme bis zuletzt verteidigen." In keinem anderen europäischen Land ist der nationale Film so stark. Lag der Anteil der französischen Filme in Frankreich 2003 noch unter 35 Prozent, ist er 2012 auf über 40 Prozent angewachsen.