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"Keine selektive Justiz in Georgien"

Amalia Oganjanyan, Roman Goncharenko2. Juli 2013

Georgiens Ministerpräsident Iwanischwili weist Vorwürfe politischer Verfolgung zurück. Vor der Präsidentenwahl spricht er im DW-Interview über das Verhältnis zur NATO und Russland sowie seinen Rückzug aus der Politik.

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Bidsina Iwanischwili (Foto: RIA Novosti)
Bild: picture-alliance/dpa

DW: Am 31. Oktober 2013 wählt Georgien einen neuen Präsidenten. Für Ihre Regierungspartei, "Georgischer Traum", tritt der Bildungsminister Georgi Margwelaschwili an. Warum nicht Sie?

Bidsina Iwanischwili: Ich habe vor, mich nach der Wahl von der Politik zu verabschieden. Und es gibt noch einen Grund: Das Amt des Premierministers ist laut Verfassung wichtiger als das des Präsidenten.

Der ehemalige Ministerpräsident Wano Merabischwili sitzt wegen Korruptionsverdachts in Untersuchungshaft. Er ist Generalsekretär der Partei des Präsidenten Michail Saakaschwili und galt als ein starker Präsidentschaftsanwärter. Kritiker sagen, dass Strafverfolgung unter Ihrer Regierung zu einer Methode im politischen Kampf geworden sei. Stimmt das?

Die Frage ist berechtigt. Wenn ein ehemaliger Ministerpräsident verhaftet wird, wirft es Fragen auf. Merabischwili ist nicht der einzige starke Politiker in der Opposition. Ich glaube, dass seine Partei keine ernst zu nehmende Konkurrenz für uns ist. Es ist deshalb falsch zu sagen, dass wir unsere Konkurrenten verhaften lassen. In Georgien geht es um die Wiederherstellung der Gerechtigkeit. Wir werden auf keinen Fall zulassen, dass es zu politischen Repressalien und selektiver Justiz kommt.

Sie haben zu Beginn Ihrer Ministerpräsidentschaft gesagt, man müsse mit Präsident Michail Saakaschwili und seiner Partei kooperieren. Das hat offenbar nicht geklappt. Wie sehen Sie das?

Ich kann nicht sagen, dass eine Zusammenarbeit gelungen ist, doch es war nicht unsere Schuld. Ich will nicht verbergen, dass ich mit Saakaschwili sehr komplizierte Beziehungen habe. Nach seinem Amtsantritt waren wir sehr nah. Das dauerte zweieinhalb Jahre. Ich habe ihm und dem Staat geholfen. Doch seit er sein wahres Gesicht gezeigt hat, das Wesen eines typischen Diktators, habe ich keine Lust mehr, ihn zu kontaktieren.

Saakaschwili und Iwanischwili schütteln Hände (Foto: Reuters)
Keine Zusammenarbeit: Präsident Saakaschwili (links) und Premier IwanischwiliBild: Reuters

Bei der Parlamentswahl 2012 haben Sie versprochen, die angespannten Beziehungen zu Russland zu normalisieren. Können diplomatische Beziehungen noch vor den Olympischen Winterspielen im russischen Sotschi 2014 wiederhergestellt werden?

Eher nicht. Dafür braucht man Zeit und entsprechende Voraussetzungen. Doch eine Verbesserung der russisch-georgischen Beziehungen ist möglich. Manche positiven Veränderungen sind bereits passiert. Die Wirtschaftsbeziehungen sind praktisch wiederhergestellt. Wir arbeiten daran, reguläre Flüge zwischen Moskau und Tiflis wieder aufzunehmen. Es laufen Verhandlungen über Visaerleichterungen und sogar eine Abschaffung der Visumspflicht. Doch einiges ist auch problematisch, wie zum Beispiel der Bau von Absperrungen oder Verhaftungen an der administrativen Grenze mit Abchasien und Südossetien.

Russland und diese abtrünnigen Regionen sind nicht bereit, die territoriale Einheit Georgiens wiederherzustellen. Welche Kompromisse sind da möglich?

Ich weiß nicht, wo wir noch nachgeben könnten und was man von uns noch fordern könnte. Ich glaube, dass Abchasien und Südossetien in erster Linie selbst entscheiden müssen. Wir [Georgien, Anm. d. Red.] müssen einen Staat aufbauen, der für Abchasen und Südossetier attraktiv wäre. Wir müssen nicht um Land, sondern um Menschen kämpfen. Sie sollen den Wunsch verspüren, mit uns zusammen zu leben. Das wird entscheidend sein. Es gibt keinen anderen Weg, außer freundlichen Beziehungen und Verhandlungen.

Georgien möchte NATO-Mitglied werden. Halten Sie es für realistisch, dass Ihr Land der Allianz im jetzigen Zustand beitritt, also ohne Abchasien und Südossetien?

Das ist eine sehr komplizierte Frage. Gute Beziehungen zu Russland und NATO-Mitgliedschaft sind schwer zu vereinbaren. Doch es gibt Länder, denen das gelungen ist - die baltischen Staaten etwa, Polen und Tschechien. Georgien wird es schwieriger haben. Saakaschwili hat Moskau lange mit dem NATO-Beitritt Georgiens provoziert. Er hat mit seiner Rhetorik alles komplizierter gemacht. Doch ein NATO-Beitritt ist nicht mein Wunsch: es ist unsere Strategie, die Entscheidung des Volkes. Ob ein NATO-Beitritt im jetzigen Zustand möglich ist, darauf habe ich keine konkrete Antwort. Vieles hängt von der Entwicklung in Russland ab. Doch früher oder später wird es passieren.

Bidsina Iwanischwili ist seit Oktober 2012 Ministerpräsident der ehemaligen Sowjetrepublik Georgien im Kaukasus. Der 57-jährige Geschäftsmann machte als Banker und Industrieller sein Vermögen in Russland. 2011 wechselte er in die Politik und gründete die Oppositionsbewegung "Georgischer Traum". Daraus ging später die gleichnamige Partei hervor.

Das Gespräch führte Amalia Oganjanyan.