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Warteschleife statt Lehrstelle

Helena Baers3. Juli 2013

Eine Rekordzahl von Ausbildungsplätzen in Deutschland bleibt unbesetzt. Dennoch bekommen viele Bewerber nach wie vor keine Lehrstelle. In der Arbeitslosenstatistik tauchen die Jugendlichen oft nicht auf.

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Berufschüler lernen im Seminar einer Fachhochschule - Foto: Robert Kneschke (Fotolia)
Bild: Fotolia/Robert Kneschke

Es soll eine kaufmännische Ausbildung sein, entschied Nikolina Djordjevic, als sie sich vor ihrem Realschulabschluss Gedanken über ihre Zukunft machte. Die Aussichten der heute 20-Jährigen aus Remagen schienen gut. Schließlich ist Deutschland das Land mit der EU-weit niedrigsten Jugendarbeitslosigkeit, gerade einmal 7,6 Prozent der unter 25-Jährigen haben keinen Job. In Spanien ist es mehr als jeder Zweite.

Nikolina Djordjevic bewarb sich im vergangenen Jahr unter anderem bei Banken und Maklerbüros und musste dabei feststellen: "Mit einem Realschulabschluss ist man nicht die erste Wahl." Sie hatte mit ihren Bewerbungen keinen Erfolg.

Notfalls wäre sie weiter zur Schule gegangen. Dann aber erfuhr sie von einer der zahlreichen Qualifizierungsmaßnahmen für Jugendliche ohne Ausbildung. Die staatliche Förderung soll dafür sorgen, dass Schulabgänger ihr Berufsleben nicht mit Arbeitslosigkeit beginnen. Nikolina Djordjevic entschied sich, erst mal eine "Einstiegsqualifizierung Jugendliche" (EQJ) zu absolvieren. Zehn Monate lang machte sie ein von der Agentur für Arbeit bezahltes Langzeitpraktikum im Autohaus Thomas in Bonn. Nebenbei besuchte sie die Berufsschule. 

Nikolina Djordjevic (links) und Thessa Thiel, beide Auszubildende in einem Bonner Autohaus - Foto: Helena Baers (DW)
Auszubildende Djordjevic (links) und Thiel: Auf unterschiedlichen Wegen zur LehrstelleBild: DW/H. Baers

Mehr als 266.000 Jugendliche in Übergangsmaßnahmen

So wie Nikolina Djordjevic geht es auch Hunderttausenden anderen Jugendlichen in Deutschland, die im ersten Anlauf keinen Ausbildungsplatz finden. Im vergangenen Jahr wurden nach Angaben des Bundesinstituts für Berufsbildung (BIBB) mehr als 550.000 Ausbildungsverträge in Deutschland abgeschlossen. Immerhin 266.000 Jugendliche begannen eine Maßnahme im sogenannten Übergangsbereich. Das heißt, sie fanden keinen Ausbildungsplatz oder wussten noch nicht, was sie später machen wollen. Deshalb nahmen sie zum Beispiel an einer der berufsvorbereitenden Bildungsmaßnahmen der Agentur für Arbeit teil, holten ihren Hauptschulabschluss nach oder absolvierten ein Berufsvorbereitungsjahr.

Elisabeth Krekel - Foto: Hochschule Bremen
Ausbildungsexpertin Krekel: "In den Übergangsbereich abgedrängt"Bild: BIBB/Hochschule Bremen

Kritiker sprechen dabei von Warteschleifen für Jugendliche, die sonst auf der Straße stehen und als arbeitslos in der Jobstatistik auftauchen würden. Steckt der deutsche Staat also Geld in diese Projekte, um die Arbeitslosenquote bei den unter 25-Jährigen niedrig zu halten? Ganz so einfach scheint es nicht zu sein. "Auf der einen Seite werden Jugendliche, die nicht sofort in Ausbildung vermittelt werden können, in den Übergangsbereich abgedrängt", bilanziert Elisabeth Krekel, Ausbildungsexpertin beim BIBB. Andererseits könnten sie aber auch darin höhere Schulabschlüsse wie die Mittlere Reife erwerben, um sich dann Chancen auf andere Berufe zu eröffnen.

Bessere Chancen auf einen Ausbildungsplatz

Für Nikolina Djordjevic hat sich das zehnmonatige Praktikum in dem Bonner Autohaus gelohnt. Sie hat dort im Anschluss einen Ausbildungsplatz als Automobilkauffrau bekommen. Das Autohaus rechnet ihr sogar das Praktikum als erstes Lehrjahr an. Damit ist sie auf dem gleichen Stand wie die gleichaltrige Thessa Thiel, die im vergangenen Jahr dort ihre Lehre begonnen hat. Thiel konnte sich gleich im ersten Anlauf gegen die vielen anderen Bewerber durchsetzen. Geholfen hätten ihr dabei nicht unbedingt ihre Noten, sondern ihr Einsatz, sagt sie: "Ich finde, durch Engagement erreicht man viel, auch wenn die Noten nicht dementsprechend sind." Sie hat ebenfalls einen Realschulabschluss und durchschnittliche Noten, konnte das Unternehmen aber von ihrem Interesse an der Ausbildung überzeugen, indem sie sich häufig nach dem Stand der Bewerbung erkundigte.

Von einem Langzeitpraktikum können nicht nur die Jugendlichen profitieren, sondern auch die Unternehmen. Denn so lernen die Firmen Kandidaten kennen, die auf den ersten Blick zwar keine ausreichenden Schulleistungen haben, aber andere Stärken. Florian Maacks, der Ausbildungsbeauftragte des Autohauses Thomas, hält diese Art Einstiegsqualifikation für ein gutes Mittel, "um Leuten, die von der Persönlichkeit her interessant sind, die ein gutes Auftreten haben, bei denen man den Willen merkt, in den Beruf reinzukommen, eine Chance zu geben."

Florian Maacks, Ausbildungsbeauftragter des Autohauses Thomas in Bonn - Foto Helena Baers (DW)
Ausbildungsbeauftragter Maacks: Hunderte Bewerbungen auf einige wenige LehrstellenBild: DW/H. Baers

Angesichts der Schwierigkeiten vieler Bewerber überrascht es, dass 2012 eine Rekordzahl an Ausbildungsplätzen unbesetzt blieb. Mehr als 33.000 Stellen blieben offen. Gleichzeitig fanden 16.500 Bewerber weder Ausbildungsplatz noch Alternative. Das liegt nach Einschätzung des Bundesinstituts für Berufsbildung unter anderem daran, dass manche Berufe bei den Jugendlichen kein so hohes Ansehen genießen. "Wir haben einen hohen Anteil unbesetzter Ausbildungsplätze in Berufen, die wir als nicht so attraktive Berufe ansehen, wie zum Beispiel Restaurantfachmann oder -fachfrau oder Fleischer oder Fleischerin", sagt BIBB-Expertin Krekel.

Weniger Beschwerden

Das Autohaus Thomas hatte bislang noch keine Probleme, die Lehrstellen zu besetzen. Auf drei zu besetzende kaufmännische Ausbildungsplätze in diesem Jahr erhielt das Unternehmen 150 Bewerbungen, ähnlich sah das bei den Kfz-Mechatronikern aus. Was sich nach Angaben von Florian Maacks aber geändert hat, ist die Qualität der Bewerbungen: "Es sind wesentlich mehr schlechte Bewerber dabei, die sich einfach mit schlechten Schulzeugnissen, wahnsinnig vielen Fehlstunden, Rechtschreibfehlern und dergleichen bewerben." Immer wieder beklagen Arbeitgeberverbände oder Industrie- und Handelskammern, dass Bewerber über zu schlechte Sprach- und Mathematikkenntnisse verfügten.

Derzeit beschweren sich viele Betrieben aber nicht mehr so laut, wie vor ein paar Jahren. Das sei eine Folge des demografischen Wandels, sagt Elisabeth Krekel. Es sei schon interessant, dass mit den zunehmenden Schwierigkeiten, die Lehrstellen zu besetzen, auch die Kritik der Unternehmen an der Ausbildungsreife zurückgehe.