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CARE: "Vom Boot mitten ins Desaster"

Esther Felden11. November 2013

Trotz zerstörter Infrastruktur versuchen Hilfsorganisationen, die Menschen auf den Philippinen mit dem Nötigsten zu versorgen. CARE-Mitarbeiterin Sandra Bulling schildert im Gespräch mit der DW ihre Eindrücke vor Ort.

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Zerstörungen nach dem Taifun (Foto: REUTERS/Romeo)
Bild: Reuters/Romeo Ranoco

Deutsche Welle: Frau Bulling, wie ist die Situation, die Sie vor Ort vorgefunden haben?

Sandra Bulling: Wir sind heute Morgen (11.11.2013) im Süden der Insel Leyte in der Stadt Ormoc angekommen. Vom Boot aus tritt man im Grunde genommen sofort ins Desaster. Der Hafen ist zerstört, rechts und links von der Straße sieht man überall Reste von Häusern, Dächer hängen wie Handtücher auf den Leitungen. Man sieht wirklich die Wucht, mit der dieser Sturm hier auf die Insel getroffen ist. Es ist aber auch sehr viel Bewegung spürbar. Die Stadt ist voller Menschen, die alle in langen Schlangen anstehen - vor der Tankstelle, an Apotheken und vor Supermärkten.

Wie schwer war es, überhaupt bis ins Katastrophengebiet vorzudringen?

Wir sind von Manila aus auf die Insel Cebu geflogen und haben dann von dort eine Fähre zur Insel Leyte genommen. Das ging einigermaßen gut und zügig, aber das Problem ist jetzt die Fortbewegung. Wir sind auf dem Weg in die verwüstete Stadt Tacloban, haben aber quasi den halben Tag damit verbracht, an der Tankstelle Benzin zu bekommen. Wir mussten Lebensmittel einkaufen, weil wir nicht wissen, wie wir durchkommen und wie die Situation in Tacloban ist. Wir werden wahrscheinlich im Auto schlafen müssen. Diese Probleme haben derzeit alle Hilfsorganisationen, weil es ja auch eine Fahrt ins Ungewisse ist: Keiner weiß, inwieweit die Straßen geräumt sind. Momentan konzentriert sich ja die Medienaufmerksamkeit auf Tacloban, aber nach dem, was wir hören, gibt es außerhalb von Tacloban noch Städte, die völlig von der Außenwelt abgeschnitten sind, und wo die Situation mindestens genauso schlimm ist.

Sandra Bulling, Mitarbeiterin der Hilfsorganisation CARE Deutschland (Foto: CARE)
CARE-Mitarbeiterin Sandra BullingBild: CARE

In den Medien ist schon von Plünderungen die Rede, davon, dass die Stimmung unter den Menschen in Panik umschlägt und sich in Gewalt entlädt, weil die Menschen einfach Hunger haben. Ist schon irgendwie absehbar, wie lange es dauern wird, bis die Hilfe bei den Betroffenen angekommen ist?

Wir haben heute Morgen hier in Ormoc mit dem Vize-Bürgermeister gesprochen. Er hat uns gesagt, dass die Gemeinden natürlich Lebensmittel verteilen - und zwar das, was sie in ihren Geschäften gefunden haben, das, was sie vorher in ihren Rathäusern als Reserve bereitgehalten haben. Aber der Bürgermeister hat auch gesagt, dass er spätestens morgen keine Lebensmittel mehr haben wird, und dass er hofft, dass morgen oder übermorgen die ersten Hilfslieferungen ankommen. Es ist durchaus so, dass Hilfe verteilt wird, aber es reicht nicht lange.

Was wird am dringendsten benötigt?

Am dringendsten wird medizinische Hilfe benötigt - und sauberes Wasser. Hier in Ormoc beispielsweise sind alle Wasserkanäle und Brunnen zerstört. Momentan bekommen die Menschen ihr Wasser allein aus zerstörten Wasserrohren. Ich habe eben am Straßenrand eine lange Schlange von Menschen gesehen, die an einem zerbrochenen Wasserrohr anstehen, aus dem noch Wasser herausfließt. Also sauberes Trinkwasser ist eine große Priorität. Oder Hygienemaßnahmen: Natürlich ist jetzt die Gefahr sehr groß, dass sich Seuchen ausbreiten. Ich habe auch schon gehört, dass in den Krankenhäusern mehr und mehr Menschen aufgenommen werden müssen, die jetzt krank werden, weil es kein sauberes Wasser gibt oder weil die Menschen, die ihre Wohnung oder ihr Haus verloren haben, draußen leben müssen. Dritte Priorität sind eindeutig Lebensmittel: Die Menschen brauchen etwas zu essen, sie sind verzweifelt und versuchen, ihre Familie zu ernähren.

Es heißt, es wird damit gerechnet, dass die Opferzahlen noch deutlich in die Höhe gehen könnten. Im Moment ist von rund 10.000 Toten die Rede. Ist aus Ihrer Sicht schon abzusehen, ob diese Zahlen noch dramatisch steigen könnten?

Das kann durchaus sein. Ich kann das von hier aus wirklich schlecht abschätzen, weil wir von jeglicher Kommunikation abgeschnitten sind. Ich habe vergangene Nacht meine letzten Informationen bekommen. Aber es ist so, dass bei einer Katastrophe diesen Ausmaßes die Zahlen steigen können - vor allem, weil noch nicht alle Dörfer erreicht worden und viele noch abgeschnitten sind von jeglicher Kommunikation und Hilfe. Es wird noch eine Weile dauern, bis man ein komplettes Bild hat.

CARE-Mitarbeiterin Sandra Bulling ist als Katastrophenhelferin vor Ort und befindet sich derzeit auf dem Weg in die Stadt Tacloban.