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Das schnelle Ende eines Kolosses

Christian Ignatzi2. Februar 2014

Nie zuvor ist in Europa ein höheres Gebäude gesprengt woden. Eduard Reisch bringt den 116 Meter hohen AfE-Turm in Frankfurt am Sonntag zu Fall. Die Polizei rechnet mit zehntausenden Schaulustigen.

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AfE-Turm der Goethe-Universität in Frankfurt am Main (Foto: dpa)
Bild: picture-alliance/dpa

Eduard Reisch hetzt im Frankfurter AfE-Turm von einem Stockwerk ins nächste. "Ich habe im Moment absolut keine Zeit, höchstens mal kurz zwei Minuten", ruft er keuchend. In diesen Tagen gibt es für den Sprengmeister kaum eine freie Minute. Die Vorbereitungen auf die Sprengung am Sonntag (02.02.2014) laufen.

Seit weit mehr als 20 Jahren sprengt der urige Bayer Häuser. Wie viele es waren, hat er nie gezählt. "Da waren schon einige dabei", sagt er. Das größte Gebäude, das er bisher gesprengt hat, war das 52 Meter hohe Agfa-Hochhaus in München. Der AfE-Turm, das 116,5 Meter hohe Seminargebäude der Frankfurter Universität, in dem die Erziehungswissenschaften ihren Sitz hatten, ist aber ein anderes Kaliber. Vom Fundament bis zur Spitze misst der Turm, im Volksmund auch Elfenbeinturm genannt, stolze 127 Meter. Nervosität ist dem Sprengmeister trotzdem nicht anzumerken. Auch wenn er zugibt, dass es "am Tag der Sprengung natürlich schon einen gewissen sozialen Stress gibt". Grundsätzlich habe er aber ein gutes, ruhiges Gefühl, wenn alles planmäßig durchgeführt werde. "Und da sind wir auf einem guten Weg."

Sprengmeister Eduard Reisch (Foto: dpa)
Sprengmeister Eduard ReischBild: picture-alliance/dpa

Fast 950 Kilogramm Sprengstoff

Ein Weg, den Sprengmeister Reisch und sein Team nun schon seit einigen Monaten gehen. "Seit einem halben Jahr sind wir in der Planung und seit einem Vierteljahr in der aktiven Phase", sagt er. Die Pläne erstellte der Sprengexperte Rainer Melzer, der ein hohes Ansehen unter Kennern genießt. Gutachter prüften und rechneten, bis sie sicher waren, dass die Sprengung des Turms möglich ist.

Während der aktiven Phase inspizierten Reisch und sein Team das Gebäude und planten, wo sie die Sprengladungen platzieren. In den letzten Tagen vor der Sprengung arbeiten 32 Leute im Hochhaus und bringen die Ladungen an. Im Erdgeschoss, im ersten und zweiten Untergeschoss und in der fünften, 17. und 21. Etage - insgesamt fast 950 Kilogramm Sprengstoff. "Im fünften und 17. Stockwerk rammen wir während der Sprengung zwei Keile raus. Das sorgt dafür, dass das Haus in zwei Teile bricht", sagt Reisch. Der obere Teil fällt Richtung Süden, der untere Richtung Norden - der Turm soll wie ein Kartenhaus in sich zusammenfallen. Damit der Einsturz nicht für eine große Staubwolke sorgt, verteilen die Arbeiter mehrere Plastikbehälter mit jeweils 1000 Litern Wasser im Gebäude. Der Sprühnebel soll den Staub binden. "Außerdem packen wir einige Stützpfeiler mir Vlies und Maschendraht ein, damit keine Trümmer umherfliegen", sagt Reisch.

Die Polizei rechnet mit zehntausenden Sprengtouristen

Hochhaus-Türme in Frankfurt am Main (Foto: dpa)
Zwei neue Hochhäuser sind anstelle des AfE-Turms geplantBild: picture-alliance/dpa

Gesprengt wird der Turm, weil ihn niemand mehr braucht. Die Frankfurter#link:http://www2.uni-frankfurt.de/de?locale=de:Universität# bekam einen neuen Campus, das alte Gelände will die Stadt für Wohnungsbau, Büros und Kulturstätten nutzen. An der Stelle des#link:http://de.wikipedia.org/wiki/AfE-Turm:AfE-Turms# sollen zwei neue Bürotürme entstehen. Statt das Haus mit einem Bagger Stück für Stück abzutragen, hat sich die Wohnungsgesellschaft, die das neue Areal plant, für den Abriss auf einen Schlag durch Sprengung entschieden. Den Nachbarn will man so lang anhaltenden Baulärm ersparen. Doch ist solch eine Sprengung nicht gefährlich für die umliegenden Häuser? "Nein", sagt Eduard Reisch. "Eine hundertprozentige Sicherheit gibt es zwar nie, aber wir gehen zu 99 Prozent davon aus, dass hier nichts passiert."

Trotzdem richtet die Polizei vorsorglich zwei Sperrzonen ein. Der erste Sicherheitsbereich umfasst 135 Meter um das Hochhaus. Jeglicher Aufenthalt in diesem Bereich ist verboten. "Dort wohnt aber ohnehin niemand", sagt Rüdiger Reges von der Frankfurter Polizei. Innerhalb der ersten Sperrzone liegen ein Museum, eine U-Bahn-Trasse und ein neu saniertes, denkmalgeschütztes Laborgebäude. Die zweite Sperrzone gilt in einem Umkreis von 250 Metern um den AfE-Turm. Die Anwohner dürfen ihre Häuser während der Sprengung nicht verlassen. "Wer Glück und einen guten Blick auf das Hochhaus hat, kann sich ja Freunde einladen und eine Party veranstalten", sagt Rüdiger Reges und meint das durchaus ernst. "Wir rechnen mit zehntausenden Sprengtouristen, die das Spektakel verfolgen."

Nach wenigen Minuten ist alles vorbei

Sprengmeister Eduard Reisch (Foto: dpa)
Eduard Reisch zeigt, wie ein Zünder aussieht, den er und sein Team im Turm verwendenBild: picture-alliance/dpa

Am Sonntag ist es dann so weit. Um zehn Uhr soll das erste Sprengsignal ertönen. "Dann werden wir noch einmal alles überprüfen", erklärt Eduard Reisch mit ruhiger Stimme, "bevor die finale Sprengung erfolgt." Mehr als 400 Mitarbeiter des Technischen Hilfswerks sind für die Sicherheit während der Sprengung zuständig. Die Polizei koordiniert die Hilfskräfte mit einem sechsköpfigen Team. Die Schaulustigen führen sie zu zwei Aussichtspunkten am Rand der Sperrzone. "An einem großen Kreisverkehr südlich des Turms haben allein mehrere tausend Menschen Platz", sagt Polizeisprecher Reges. Innerhalb weniger Minuten ist alles wieder vorbei. Eduard Reisch, der die Sprengung vom Dach eines Hotels einleitet, prüft dann, ob alles nach Plan verlaufen ist, und ob es keine Blindgänger gab. Dann ertönen die drei Signale, die heißen: Alles ist gut verlaufen. Und dann ist auch der "gewisse soziale Stress" des ansonsten besonnenen Sprengmeisters wieder vorbei. Denn der gehört schließlich doch dazu. Etwas Besonderes ist die Sprengung nämlich auch für einen alten Hasen wie Eduard Reisch: "Das höchste Haus zu sprengen, das jemals in Europa zu Boden ging", sagt er, "das ist schon gut."