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Europa von unten

Bernd Riegert17. Februar 2014

Premiere in Brüssel: Die EU-Kommission muss auf die erste "Europäische Bürgerinitiative" reagieren - zum Thema Wasserversorgung. Die neue demokratische Übung gefällt sogar der Behörde.

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EU-Kommissar Maros Sefcovic trifft Mitglieder der Bürgerinitiative "Right2water" Quelle: EU 2014
Bitte lächeln: EU-Kommissar Sefcovic (r.) nimmt die Unterschriften entgegenBild: EU 2014

Anne-Marie Perret ist glücklich. Die französische Gewerkschafts-Funktionärin kann zusammen mit anderen Mitgliedern eines Bürgerkomitees genau 1.680.172 gültige Unterschriften für die allererste europäische Bürgerinitiative in Brüssel überreichen. "Ich fühle mich sehr stolz und dankbar", sagt Anne-Marie Perret als sie dem zuständigen EU-Kommissar Maros Sefcovic die elektronisch gesammelten Unterschriften überreicht. "Wir werden jetzt versuchen, unsere Forderungen so zu formulieren, dass Wasser wirklich ein Menschenrecht wird." Die erste europäische Bürgerinitiative mit dem Namen "Recht auf Wasser" möchte erreichen, dass Wasserversorgung und Zugang zur Abwasserversorgung in allen EU-Mitgliedsstaaten als einklagbares Grundrecht behandelt wird.

Außerdem soll sich die EU für das Recht auf Wasser weltweit einsetzen und die Wasserversorgung aus den strikten Regeln für den europäischen Binnenmarkt herausnehmen. Die Wasserversorgung müsse weiterhin in der Hand von Kommunen und öffentlichen Unternehmen liegen, fordern die besorgten Bürger. "Wir sehen uns selbst als Pioniere", sagt die Präsidentin der Bürgerinitiative der Deutschen Welle. "Wenn wir Erfolg hätten, wäre das wirklich großartig. Aber jetzt sind wir in der Hand der EU-Kommission. Wir hoffen auf eine breite Unterstützung im Parlament, nicht aller Abgeordneter, aber vieler."

Anne-Marie Perret und Markos Sefcovic Foto: DW/B. Riegert
Ein großer Schluck: Die Präsidentin der Bürgerinitiative, Anne-Marie Perret, trinkt WasserBild: DW/B. Riegert

Initiativen können europamüde Bürger zum Mitmachen animieren

EU-Kommissar Maros Sefcovic freut sich mit den Bürgern, obwohl sie die EU-Kommission herausfordern. Der Vizepräsident der EU-Kommission ist abgesehen von den inhaltlichen Forderungen vor allem begeistert, dass es zwei Jahre nach Inkrafttreten des Gesetzes über europäische Bürgerinitiativen tatsächlich eine Gruppe geschafft hat, alle formalen Hürden zu erfüllen und die nötigen Stimmen zu sammeln. "Heute ist ein sehr wichtiger Tag für eine Demokratie von unten. Zum ersten Mal in der Geschichte der EU ist ein Bürgerbegehren erfolgreich auf den Weg gebracht worden", so Sefcovic. Für ein erfolgreiches Bürgerbegehren sind eine Million Unterschriften aus mindestes sieben EU-Mitgliedsstaaten erforderlich. Hinzu kommt ein Mindestanzahl an Stimmen pro beteiligtem Land. Diese Schwelle hat die Wasser-Initiative weit übertroffen. Der slowakische EU-Kommissar sieht darin den Beweis, dass die Europamüdigkeit vieler Menschen überwunden werden kann. "Das zeigt, dass die Bürger, wenn sie es denn wollen und aktiv werden, direkten Einfluss auf die Vorgänge in Brüssel nehmen können." Der SPD-Europaabgeordnete Matthias Groote sagt es mit einem alten abgewandelten Slogan der deutschen Sozialdemokraten: "Mehr Demokratie wagen in Europa."

EU-Kommission muss den Bürgern nicht folgen

Wie Brüssel, also die EU-Kommission, allerdings auf das Bürgerbegehren zur Wasserversorgung reagiert, ist ihr überlassen. Sie kann, muss aber nicht gesetzgeberisch aktiv werden. Zur Frage, ob die Kommission die Forderungen erfüllen wird, will sich Maros Sefcovic nicht festlegen: "Wir sind gesetzlich verpflichtet, auf die Initiative zu reagieren. Das werden wir am 20. März schriftlich machen." Einen politischen Erfolg konnte die Bürgerinitiative schon während ihrer Kampagne feiern. Die EU-Kommission nahm im Sommer 2013 einen Vorschlag zur möglichen Privatisierung der Wasserversorgung nach erheblichem politischen Druck aus den Mitgliedsstaaten wieder zurück. Der zuständige EU-Kommissar Michel Barnier fühlte sich missverstanden. Er könne fast alle Punkte der Wasser-Initiative selbst unterschreiben, ließ Barnier per Interview wissen.

Die erste erfolgreich durchgeführte Bürgerinitiative auf EU-Ebene wurde massiv von Gewerkschaften unterstützt, in denen die Angestellten der Wasserversorger organisiert sind. In Deutschland ist das die Dienstleistungsgewerkschaft "Verdi". Dieser Rückhalt ist hilfreich, vor allem weil zahlreiche logistische und bürokratische Hürden zu nehmen sind. Außerdem werben die Gewerkschaften bei ihren Mitgliedern um Beteiligung an der Initiative. Die Europäische Bürgerinitiative muss die Unterschriften online sammeln und die Identität der Unterzeichner nachweisen können. Die Systeme sind in allen 28 EU-Staaten noch unterschiedlich. Das müsse geändert werden, meint Erhard Ott aus dem Bundesvorstand der Gewerkschaft Verdi gegenüber der DW. "Das Problem ist, alle möglichen Daten in die Unterschriftenlisten einzutragen. Das ist von Land zu Land unterschiedlich und muss vereinfacht werden." EU-Bürger, die im Ausland lebten, könnten zum Beispiel nicht abstimmen, wenn sie in ihrem Heimatland keinen Wohnsitz mehr haben. Dass diese bürokratischen Hürden abgeschafft werden müssen, hätten die EU-Kommission und Vertreter des Parlaments aber bereits erkannt, glaubt der Verdi-Vertreter.

Öffentlicher Brunnen in Homocea, Rumänien Foto: picture-alliance/dpa
Die Wasserversorgung ist auch in EU-Staaten mancherorts - wie hier in Rumänien - noch ein ProblemBild: picture-alliance/dpa

Weitere Initiativen sind am Start

Die Bürgerinitiative für Wasser als Grundrecht war die Premiere, doch schon bald wollen auch andere Gruppen ihre Anliegen der EU-Kommission vorstellen. Sieben Initiativen haben im vergangenen Jahr Unterschriften gesammelt. Darunter sind ein Bürgerbegehren zur Einschränkung der Abtreibung und eines zur Einführung eines Tempolimits von 30 km/h in allen europäischen Städten.

Die EU-Kommission gibt Hilfen für die Einrichtung einer entsprechenden Internetseite und die technische Sammlung der Unterschriften. Am Ende kann sie nach europäischem Recht die Begehren zurückweisen oder daraus einen Gesetzesvorschlag formulieren.

Derzeit sind noch weitere sieben Initiativen auf Unterschriftenjagd. Eine möchte gerne alle Angestellten verpflichten, nach Büroschluss ihr Licht am Arbeitsplatz abzuschalten.