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Völkermord-Prozess gegen Serbien

3. März 2014

Die Mühlen der internationalen Justiz mahlen peinlich langsam. Vor 15 Jahren hat Kroatien vor dem Internationalen Gerichtshof Klage wegen Genozids durch Serben eingereicht. Der Prozess gegen Serbien beginnt erst jetzt.

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Internationaler Strafgerichtshof in Den Haag (Foto: dpa)
Bild: picture-alliance/dpa

"Serbien schürte, organisierte und ermöglichte den Völkermord", sagte die Völkerrechtsprofessorin Vesna Crnic-Grotic bei der Prozesseröffnung vor dem Internationalen Gerichtshof (IGH) in Den Haag. Über 13.500 Kroaten seien während des Bürgerkrieges von 1991 bis 1995 getötet worden. Serbien weigere sich, seine Verantwortung für die Verbrechen anzuerkennen und Schuldige anzuklagen. Kroatien fordert nun eine Verurteilung Serbiens wegen Verletzung der Völkermord-Konvention sowie Entschädigungszahlungen. Die Klage hatte Kroatien bereits 1999 gegen das damalige Jugoslawien eingereicht.

Bei der bis zum 1. April dauernden Verhandlung will Kroatien nachweisen, dass Serbien die sogenannte "ethnische Säuberung" in Kroatien geplant hatte. Ziel der Führung unter dem damaligen jugoslawischen Staatspräsidenten Slobodan Milosevic war demnach "ein ethnisch homogenes Groß-Serbien". Mit militärischer Gewalt sollte der nicht-serbische Teil der Bevölkerung vernichtet werden. Im Mittelpunkt der Beweisführung Kroatiens soll die Zerstörung der ostkroatischen Stadt Vukovar 1991 stehen.

Gegenwind aus Belgrad

Serbien hat viel getan, um die Anklage abzuwehren. Erst hat die Regierung in Belgrad beim IGH eine Genozid-Gegenklage gegen den Nachbarn eingereicht, dann über Jahre hinweg vorgeschlagen, beide Staaten sollten gleichzeitig ihre Klagen zurückziehen. Diese Bemühungen blieben jedoch ohne Erfolg.

Kroatien sieht im Bürgerkrieg der neunziger Jahre die Serben allein als Aggressor, der für die Verwüstung weiter Landstriche und den Tod tausender Kroaten verantwortlich sei. Zusammen mit der Vertreibung Hunderttausender aus ihrer angestammten Heimat erfüllten diese Kriegsverbrechen alle Merkmale eines geplanten Völkermordes, argumentiert das jüngste EU-Mitglied Kroatien.

Serbien plant Gegenklage

Die Serben, deren Gegenklage später in den aktuellen Prozess einfließen soll, verweisen dagegen auf mehr als 6500 Tote auf der eigenen Seite, rund 1600 Vermisste und auf mehr als 200.000 vertriebene Landsleute. Die Vertriebenen gehörten der serbischen Minderheit in Kroatien an, die vor dem Krieg knapp 600.000 Personen umfasste. Sie waren bei der Rückeroberung der Serbenrepublik Krajina vom kroatischen Militär aus dem Land geworfen worden.

In den Jugoslawienkriegen von 1991 an gingen Machthaber mehrfach mit sogenannten ethnischen Säuberungen gegen "fremde" Volksgruppen vor. Solche "Säuberungen" werden von einem Staat initiiert oder geduldet, um eine nationale oder religiöse Gruppe aus einem Gebiet zu vertreiben. Die systematischen Maßnahmen reichen von Drohungen und wirtschaftlichem Druck bis zu inszenierter Gewalt mit Deportationen und Völkermord. So soll ein kulturell homogenes Gebiet ohne Minderheit geschaffen werden. Bereits das Londoner Statut von 1945, das die Rechtsgrundlage für die Nürnberger Kriegsverbrecherprozesse bildete, führt die "ethnische Ausrottung" als "Verbrechen gegen die Menschlichkeit" auf.

Die derzeitige kroatische Linksregierung steht unter großem Druck der Öffentlichkeit und möchte sich patriotisch zeigen. Ende 2013 hatten Nationalisten 632.165 Unterschriften gesammelt, um ein Referendum zu erzwingen. Sie wollen erreichen, dass der verbliebenen serbischen Minderheit der öffentliche Gebrauch ihrer Sprache und ihrer kyrillischen Schrift praktisch verboten wird. Die Regierung versucht jetzt mit Verfahrenstricks, diese Volksabstimmung mit allen Mitteln zu verhindern.

Meilenstein der Rechtsgeschichte?

Serbien möchte in die Europäische Union

Der Prozess in Den Haag könnte zu einem Meilenstein in der Rechtsgeschichte werden. Denn noch nie wurde ein Staatschef, geschweige denn ein Staat auf der Grundlage der UN-Völkermord-Konvention verurteilt. Dabei hatte die Staatengemeinschaft unter dem Eindruck des beispiellosen Massenmordes des NS-Regimes an den europäischen Juden gleich nach dem Zweiten Weltkrieg in seltener Harmonie bekannt: Nie wieder Völkermord. In der UN-Konvention vom 9. Dezember 1948 verpflichteten sich die Staaten, alles in ihrer Macht Stehende zu tun, um Völkermord zu verhindern und Täter zu bestrafen. Keiner sollte immun sein: kein General, kein Staatschef, ja sogar Staaten nicht.

Doch die internationale Justiz tat sich lange schwer mit diesem schlimmsten Verbrechen der Menschheit. Erst sechs Tage im Juli 1995 brachten die Wende. Serbische Einheiten überrannten die UN-Schutzzone Srebrenica. Rund 8000 muslimische Männer und Jungen wurden ermordet, Frauen und Mädchen deportiert. Es war der größte Völkermord auf europäischem Boden nach dem Zweiten Weltkrieg. Und er führte zur Gründung des UN-Kriegsverbrechertribunals zum früheren Jugoslawien in Den Haag.

kle/uh (dpa, afpe)