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OSZE-Experte: Ukraine stabilisieren

Stephanie Höppner 8. April 2014

Seit Beginn der Krim-Krise hat die OSZE mehrere Missionen in das Land geschickt. Dabei geht es nicht nur um Faktencheck, sagt Sicherheitsexperte Wolfgang Richter, sondern auch um Hilfe beim Aufbau einer neuen Identität.

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Wolfgang Richter , Sicherheitexperte bei der SWP. (Foto: DW/Nikita Jolkver)
Bild: DW/N. Jolkver

Deutsche Welle: In der ständigen Ratssitzung der OSZE wurde beschlossen, eine Beobachtermission von bis zu 500 Leuten in die Ukraine zu schicken. Welchen Auftrag hat die OSZE in der Ukraine?

Wolfgang Richter: Sie sollen einen Beitrag zur Deeskalation und zur Stabilisierung leisten. Und sie sollen Fakten feststellen. Zurzeit gibt es vor allem eins: Gerüchte. Es ist es einfach nötig, vor Ort neutrale Beobachter zu haben. Denn nur Fakten können eine Grundlage für politische Entscheidungen sein. Und um das sicherzustellen, hat die OSZE beschlossen, diese Mission an neun Orten zu stationieren - von der westlichen bis zur östlichen Ukraine.

Neben der großen Mission setzt die OSZE ihr ganzes Repertoire an Krisenmanagement-Instrumenten ein, wie zum Beispiel das "Büro für Demokratische Institutionen und Menschenrechte" in Warschau. Es soll die Wahlen in der Ukraine am 25. Mai beobachten. Die Hohe Kommissarin für Nationale Minderheiten ist ebenfalls mit einem Beobachterteam unterwegs. Das Gleiche gilt für die OSZE-Beauftragte für die Medienfreiheit. Neben diesen autonomen Einrichtungen haben wir dann das gesamte Instrumentarium der Rüstungskontrolle und der vertrauensbildenden Maßnahmen, wie etwa Inspektionen und Beobachtungsbesuche oder Überflüge - auch über dem angrenzenden russischen Gebiet. Die OSZE ist die einzige Organisation, die wirklich mit dem Fuß vor Ort Deeskalation und Faktenfeststellung betreibt.

Wie kann man sich die Arbeit der Beobachter denn genau vorstellen?

Die Beobachter werden nach einem gewissen Proporzschlüssel zwischen den 57 Nationen der OSZE ausgewählt. So können wir sicher sein, dass wir insgesamt eine neutrale Zusammensetzung vor Ort haben und nicht die eine oder andere Seite überwiegt. Was tun sie vor Ort? Sie beobachten - auch mit Hilfe von Fotoaufnahmen und Filmen - was sich derzeit in den Städten ereignet, wo sich derzeit prorussische Bewegungen gebildet haben und Rathäuser oder Regionalverwaltungen gestürmt werden. Sie versuchen Personalien festzustellen und Interviews zu führen, zum Beispiel zu den Motiven der Menschen. All das ist Hintergrund für weitere politische Entscheidungen. Aber auch die pure Präsenz der OSZE hat schon Wirkung: Es ist nur schwer vorstellbar, dass es eine russische Invasion im Beisein von Beobachtern gibt.

OSZE-Beobachter auf der Krim. (Foto: AFP)
OSZE-Beobachter auf der KrimBild: AFP/Getty Images

Die Beobachter genießen dabei Immunitätsstatus. Das bezieht sich aber immer nur auf die Staaten, die beteiligt sind. Natürlich ist das nicht ganz ungefährlich, denn die Personen und Gruppierungen, die teilweise sogar bewaffnet auftreten, sind nicht Teil dieser Vereinbarung. Und es wird dann Aufgabe der Staatsmacht sein, die Immunität und Sicherheit von Beobachtern zu gewährleisten.

Man hört wenig von der OSZE. Wer bekommt denn die Berichte zu lesen?

Die OSZE hat eine Organisation, die hierarchisch gegliedert ist. Das heißt, wir haben in der Ukraine einzelne Teams in neun Städten. Sie müssen sich untereinander einigen, was sie gesehen haben. Eine politische Interpretation gehört nicht zu ihren Aufgaben. Diese Teams berichten anschließend an den Missionsleiter. Und von dort gehen die Berichte auch unmittelbar an die einzelnen Staaten.

Was kann die OSZE denn bestenfalls in der Ukraine bewirken?

Im besten Fall könnte sie deeskalieren, besonders in der Ostukraine. Aber auch in der Westukraine haben noch immer bewaffnete Kräfte das Heft in der Hand. Hier sollte man darauf achten, dass das Gewaltmonopol zum Staat zurückkehrt und Vereinbarungen eingehalten werden. Ein weiterer wichtiger Punkt: Die Ukraine soll als Gesamtstaat stabil bleiben und zu einer inneren Befriedung zurückkehren. Dafür müssten prorussische und prowestliche Tendenzen einander angenähert werden, damit wieder so etwas wie eine staatliche Identität entsteht. Aufgabe der OSZE wäre es daran mitzuwirken. Denn: Sie ist, anders als die EU oder die NATO, eine inklusive Organisation, bei der alle Staaten mitmachen - auch die Russen.

Langfristig gesehen könnte die OSZE aber auch einen Denkprozess anstoßen. Die Frage ist: War es wirklich sinnvoll, ein Land, das mit prorussischen und prowestlichen Tendenzen innerlich zerrissen war, auf die eine oder andere Seite zu ziehen? Wir bewegen uns hier im postsowjetischen Raum, wo beide Tendenzen dicht beieinander liegen. Dagegen ist das langfristige Ziel der OSZE: ein paneuropäischer Sicherheitsraum ohne Trennlinien und geopolitische Lösungen.

Wolfgang Richter ist ehemaliger OSZE-Beobachter und heute Sicherheitsexperte der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin.