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Mehr Rechte für Chinas Bauern

Christoph Ricking11. Februar 2015

Streit um Grund und Boden ist in China an der Tagesordnung. Immer wieder kommt es zu Protesten. Die chinesische Regierung veröffentlichte nun neue Leitlinien für die Bodennutzung.

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Proteste im Dorf Shangpu 05.03.2012 (Foto: Reuters)
Bild: Reuters

Die Verzweiflung bei Cheng Jinshang muss groß gewesen sein. Die Behörden hatten sein Land zwangsenteignet. Daraufhin übergoss sich der Bauer aus der Provinz Anhui vor dem Gebäude der Lokalregierung Mitte Januar mit Benzin und zündete sich an. Cheng überlebte schwer verletzt.

Jedes Jahr kommt es in China nach offiziellen Angaben zu mehr als 100.000 kleineren oder größeren Protesten. Und viele stehen im Zusammenhang mit Streit um Landbesitz. Der Staatsrat hat nun erstmals Richtlinien veröffentlicht, die Landnutzungsrechte in ländlichen Gebieten landesweit ordnen. Zwar gehen die neuen Richtlinien das Problem mit den Zwangsenteignungen nicht direkt an. Dennoch könnten sie soziale Spannungen entschärfen, denn sie stärken die Rechte der Bauern.

Zuzug in die Städte als Anstoß für Landreform

Seit Beginn des chinesischen Wirtschaftsbooms ziehen Jahr für Jahr Hunderttausende Bauern als Wanderarbeiter in die Städte. Viele von ihnen leben in den Wohnheimen der Fabriken, wo sie arbeiten, oder auf Baustellen. "Man versucht, die finanzielle Lage der Menschen, die die ländlichen Gebiete verlassen haben, um in den Städten zu arbeiten, zu verbessern", sagt Sandra Heep, Programmleiterin Wirtschaftspolitik und Finanzsystem beim Mercator Institute for China Studies.

Wanderarbeiter beim Laden von Zementsäcken (Foto: AP)
Peking will wirtschaftliche Lage der Wanderarbeiter verbessernBild: AP

Bislang ist es so: Städtisches Land gehört in China dem Staat. Wer jedoch genug Geld hat, kann das Nutzungsrecht für das Land erwerben. Außerdem kann er damit handeln – es gibt einen Markt für Baugrundstücke, einen Wohnungs- und einen Mietmarkt. Auf dem Land ist das ist das hingegen nicht so ohne weiteres möglich. Das Land gehört einem Kollektiv, etwa einer Dorfgemeinschaft. Die einzelnen Bauern zahlen Geld an das Kollektiv und dürfen das Land dann nutzen. Jedoch können sie ihre Nutzungsrechte nicht einfach weiter verkaufen oder verpachten.

Handel mit Landnutzungsrechten

Die Regierung will den Handel mit den Landnutzungsrechten auf dem Land transparenter machen und vereinfachen. "Eigentümer ist weiterhin das Kollektiv", sagt Doris Fischer, Sinologin und Wirtschaftswissenschaftlerin an der Universität Würzburg. Der Bauer habe weiterhin die Nutzungsrechte, jedoch müsse er das Land nicht unbedingt nutzen. "Er kann es für die Nutzung dann auch verpachten." Bislang war dies nur in einigen Gebieten möglich, wo lokale Regierungen mit dem Handel mit Nutzungsrechten experimentierten. Die neuen Regelungen sind ein erster Schritt, um die Märkte für städtischen und ländlichen Boden landesweit anzugleichen.

Von Chinesen bearbeitete Farm (Foto: AP)
Bauern sollen Nutzungsrechte an ihrem Boden zu Geld machen könnenBild: AP

Bislang stehen die Wanderarbeiter vor einem Problem: Sie haben zwar weiterhin die Nutzungsrechte an ihrem Acker im Heimatdorf. In der Stadt bringt ihnen das jedoch wenig, da sie ihre Rechte bislang nicht einfach zu Geld machen konnten. Mit den neuen Regelungen soll das nun möglich werden. Das Kalkül der Partei dabei: Mehr Geld in den Taschen von Wanderarbeitern soll den Binnenkonsum ankurbeln und soziale Probleme in den Städten lindern helfen.

Produktivitätsschub im Agrarsektor

Und auch die Dörfer sollen profitieren: Größere Agrarbetriebe können die Landnutzungsrechte aufkaufen. Es entstehen größere Anbauflächen, die effizienter bewirtschaftet werden können als kleine Parzellen. "Damit hat man zum einen Produktivitätssteigerungen, die dann wiederum zum Wachstum beitragen können", sagt Heep. "Und zum anderen trägt man damit auch zur Sicherung der Versorgung mit Lebensmitteln bei und kann die Abhängigkeit von Lebensmittelimporten, die in den letzten Jahren stark gestiegen sind, reduzieren."

Käufer am Kartoffelstand auf chinesischem Markt (Foto: STR/AFP/Getty Images)
Ausreichende Nahrungsmittelproduktion steht ebenfalls auf der Agenda der AgrarreformerBild: STR/AFP/Getty Images

Einen wichtigen Punkt klammern die neuen Regelungen jedoch aus: Ackerland kann weiterhin nur vom Staat in Bauland umgewandelt werden. Ein lohnendes Geschäft: Viele Lokalregierungen zahlen Bauern eine geringe Entschädigung für das Land. Die Nutzungsrechte werden dann teuer an Immobilienfirmen verkauft, die dann auch noch Steuern zahlen - eine wichtige Einnahmequelle für die lokalen Regierungen. "Die Lokalregierungen sind chronisch unterfinanziert", sagt Doris Fischer. "Grundsätzlich ist es so, dass sehr viele Steuern von der Zentralregierung eingenommen werden und von der Lokalregierung nicht in dem Maße, wie sie es eigentlich für öffentliche Aufgaben brauchen."

Steuerreform wird nicht angepackt

Das Monopol der Lokalregierungen bei der Landumwandlung zieht eine ganze Reihe von Problemen nach sich. "Das hat zu einem Bauboom sondergleichen geführt hat, der nicht immer nachhaltig ist", sagt Doris Fischer. "Und es macht die Lokalregierungen sehr stark abhängig vom kontinuierlichen Anstieg der Immobilienpreise. Da ist das Risiko, dass da eine Blase entsteht, und die würde die Lokalregierungen stark gefährden."

Chinesischer Bauarbeiter mit Stahlarmierungen (Foto: picture-alliance/dpa)
Die Abhängigkeit der Lokalregierungen von Bauprojekten ist gefährlichBild: picture-alliance/dpa

Um die Finanzprobleme lösen, hat die Führung in Peking vielen Lokalregierungen mittlerweile die Erlaubnis erteilt, Direktanleihen auszugeben. Eine Steuerreform, die den lokalen Anteil an den Steuereinnahmen erhöht, ist jedoch bislang an politischen Widerständen gescheitert.