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"Linksextreme Einstellungen verbreitet"

Wolfgang Dick24. Februar 2015

Eine Studie der Freien Universität Berlin offenbart teilweise extreme politische Einstellungen in der Bevölkerung. Die Demokratie ist labil, sagt Ko-Studien-Autor Klaus Schroeder im DW-Interview.

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Demonstranten und Polizisten im Gegenlicht von Nachtscheinwerfern(Foto: Sebastian Willnow/dpa)
Bild: picture-alliance/dpa/S. Willnow

DW: Was hat Sie bei der Auswertung der Antworten von 1400 Bürgern am meisten überrascht?

Klaus Schroeder: Erstaunt hat uns am meisten, dass jeder Zweite das staatliche Gewaltmonopol ablehnt. Damit haben wir überhaupt nicht gerechnet. Die Konsequenz wäre ja, wenn wir ein solches Gewaltmonopol nicht hätten, dass - wie in einigen Ländern der Welt ohne stabile Demokratie - das völlige Chaos ausbrechen würde. Wir können uns das nicht erklären. Es gibt offenbar ein Unbehagen gegenüber dem Einsatz von staatlicher Gewalt durch Polizisten, aber dass sich dieses Unbehagen so niederschlägt, dass man das staatliche Gewaltmonopol ablehnt, damit haben wir nicht gerechnet.

In Ihrer Studie ist bei den Befragten eine unterschwellige Sympathie für eine Revolution zu entnehmen. Wie erklären Sie sich das?

Die Frage war gestellt, ob sich ohne eine Revolution die Lebensbedingungen nicht verbessern. Es muss aufgrund der Fragestellung nicht unbedingt eine linke Revolution sein. Es werden auch Leute, die rechtsextrem eingestellt sind, angekreuzt haben. Und wieder andere werden denken, wenn sich nicht alles grundlegend ändert, werden sich die Lebensbedingungen nicht verbessern. Es ist nicht unbedingt der klassische Revolutionsbegriff, der abgefragt wurde, sondern einfach nur, ob man grundlegende Veränderungen will und das will offenbar jeder Fünfte. Jeder Fünfte denkt, nur dann, wenn sich grundlegend etwas ändert, nicht nur über kleine Reformen, dann werden sich die Lebensbedingungen verändern.

Portrait Professor Klaus Schröder, FU Berlin (Foto: Maurizio Gambarini dpa/lbn)
Politikwissenschaftler an der FU Berlin: Klaus SchroederBild: picture-alliance/dpa

Was schließen Sie aus solchen Einstellungen? Wird damit die Parteien-Demokratie in Frage gestellt?

Sie wird sehr skeptisch gesehen. Denn eine von uns nicht erwartete, sehr breite Mehrheit von über sechzig Prozent sagt, dass in unserer Demokratie nicht die Wähler, sondern die Wirtschaft das Sagen hat. Das deutet darauf hin, dass es hier eine Skepsis gibt. Und wenn hier linke Skeptiker sagen, dass eine wirkliche Demokratie nur ohne Kapitalismus möglich ist - 30 Prozent sagen das immerhin - dann deutet das darauf hin, das hier ein Zusammenhang gesehen wird zwischen Herrschaftssystem und Wirtschaftsordnung. Die Skepsis gegenüber dem Kapitalismus geht soweit, dass immerhin 19 Prozent im Osten und 14 Prozent im Westen sagen, Kapitalismus führe letztlich zu Faschismus. Erwartbar war das eigentlich bisher nur bei Linksextremisten.

Stichwort Extremisten: Welche Gruppierung überwiegt in Deutschland - Links- oder eher Rechtsextremisten?

Linksextreme Einstellungen sind deutlich weiter verbreitet als rechtsextreme. Vom gesamten Weltbild gibt es mehr Linksextremisten als Rechtsextremisten. Die Linksextremisten profitieren davon, dass sie für eine vermeintlich gute Sache - Gerechtigkeit - kämpfen, während bei den Rechtsextremisten jedem halbwegs aufgeweckten Menschen klar ist, dass dieses rassistisch-völkische Denken abzulehnen ist. Wenn die gleiche Gewalttat von einem Rechtsextremen begangen wird, wird sie verurteilt, wird sie von einem Linksextremen begangen, sieht man eher darüber weg. In der Wissenschaft aber auch in der politischen Debatte ist der Linksextremismus unterschätzt oder er wird gar nicht beachtet.

Polizist im Feuerschein beim Aufmarsch von Rechtsextremen in Hamburg (Foto: Axel Heimken/dapd)
Extreme Einstellungen bei den Bürgern sind weiter verbreitet als angenommenBild: dapd

Was bringt junge Menschen nach den Erkenntnissen Ihrer Studie zum Linksextremismus?

Das ist zum einen die Abenteuerlust, zum anderen das Milieu, in dem man aufwächst – also Freunde, Familie, Schule. Etablierte Parteien erscheinen als zu langweilig. Oft ist es aber auch nur ein Lebensabschnitt. Viele militante Linksextreme gehen raus aus dem Milieu, wenn sie in den Beruf einsteigen oder eine Familie gründen. Die Lust am Provozieren, an der Gewalt steht aber immer an erster Stelle, weniger eine inhaltliche Motivation. Oft fehlen Sachkenntnisse. Die historischen Wahrheiten über die Opfer des Sozialismus werden ausgeblendet.

Inwieweit sehen Sie unsere Demokratie durch die Einstellungen der Befragten gefährdet?

Nein, die Demokratie ist nicht gefährdet. Aber sie ist immer labil. Sie ist ohne ständige Verbesserung und ohne ständige Diskussion und Dialoge nicht stabil auf Dauer. Darauf deuten die Ergebnisse hin. Angesagt ist, dass die politisch Verantwortlichen in diesem Land, also auch die Eliten, die Gesellschaftsordnung, die Wirtschaftsordnung, die politische Ordnung viel offensiver verteidigen müssen und ihre Vorteile herausstellen müssen, damit in der Bevölkerung nicht der Eindruck entsteht: Die da oben machen ohnehin, was sie wollen und wir hier unten sind die Benachteiligten. Ob Reaktionen nach Links ausschlagen, wenn die Zeiten mal schlechter werden oder nach Rechts, ist dabei noch gar nicht zu erkennen. Ich gehe davon aus, dass es sehr große Überschneidungen zwischen radikalen linken und radikalen rechten Positionen gibt. Beide Strömungen sind sich einig darin, dass sie das hiesige System ablehnen.

Wie soll denn eine Verbesserung unseres "Systems" aus Sicht der Befragten mit radikalen Einstellungen aussehen?

Die Befragten wollen, dass der Einzelne mehr mitbestimmen kann und sie wollen den Einfluss der Wirtschaft zurückdrängen. Das lässt sich bei fast allen Antworten herauslesen. Wir haben parallel auch noch Interviews mit linksaffinen Jugendlichen geführt. Sie wollen mehr Staat und weniger Markt. Sie wissen zwar nicht viel über die soziale Ordnung, über die Verteilung usw., aber sie haben den Eindruck, weil die Medien ihnen das täglich vermitteln: Es wird immer ungerechter in diesem Land. Ob das stimmt oder nicht, wird nicht hinterfragt. Fragen sie mal junge Leute, die behaupten, der Sozialstaat werde abgebaut, wie hoch die Aufwendungen für soziale Leistungen im Sozialstaat tatsächlich sind. Es ist abenteuerlich, was da für Summen genannt werden! Die Dimension der Umverteilung in Deutschland ist den meisten gar nicht bekannt. Daraus speisen sich dann Vorurteile und die Forderung nach einer anderen Sozialordnung.

Was schließen Sie aus allen Ergebnissen?

Die Politiker, die Medien und Eliten müssen sich viel stärker mit Vorurteilen und mit Ängsten, die in der Bevölkerung vorhanden sind, auseinandersetzen. Sie müssen Antworten anbieten und müssen Missverständnisse zurückweisen. Sie dürfen sich vor diesem Dialog nicht drücken. Das hatten wir zuletzt bei "PEGIDA". Auch damit muss man sich inhaltlich auseinandersetzen. Und man muss sich auch mit Linksradikalen auseinandersetzen. Denn nur die inhaltliche Auseinandersetzung kann ein System stabil halten. Das ist ja das Konzept der "wehrhaften Demokratie", dass man den Feinden der Demokratie keinen Spielraum lässt. Das hat sich bisher bewährt. Das Gedankengut des Extremismus - egal welcher Couleur - muss bekämpft werden. Und das geht nur mit guten und sachlichen Argumenten.

Das Interview führte Wolfgang Dick.

Klaus Schroeder arbeitet als Politikwissenschaftler am Otto Suhr Institut der Freien Universität Berlin. Dort leitet er den 1992 von ihm mitbegründeten Forschungsverband SED-Staat. Als Zeithistoriker begleitete er den Prozess der Wiedervereinigung wissenschaftlich. Er ist Autor zahlreicher soziologischer Studien, darunter auch die aktuelle Untersuchung: "Gegen Staat und Kapital - für die Revolution! Linksextremismus in Deutschland" .