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Die Schreibreform

Konstantin Klein18. August 2004

Reformen sind immer unbeliebt und schwer durchzusetzen. Davon ist nicht einmal das Internet ausgenommen.

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Es geht ein Gespenst durch Europa - zumindest durch den Teil unseres alten Kontinents, in dem deutsch gesprochen wird. Doch während sich Verlagshäuser zu den Vorreitern der Gegenreformation, pardon: der Gegenreform hochsterilisieren (für diese Wort-Neudeutung auch an dieser Stelle ein heftiges "Dankeschön" an den bekannten Germanisten Bruno Labbadia!), während sich Bundesbürger heftigst darüber streiten, ob es nun "Hartz IV" oder doch "Harz 4" heissen muss, während Österreicher und Schweizer ob dieser Sommerlochdebatte leise am Verstand ihrer großen Nachbarn im Norden zweifeln, bahnt sich die wahre Revolution an anderer Stelle an.

"Wired News" ist eine amerikanische Website, die zum spanischen Internet-Konzern Terra Lycos gehört und ihren Namen mit dem einflussreichen US-Magazin "Wired" teilt. "Wired News" also lässt uns, ganz nebenbei, und als ob gar nichts dabei wäre, wissen, dass es seine ganz eigene Rechtschreibreform beschlossen habe: Statt vom "Internet" mit dem Großbuchstaben, der im Englischen nur Wörtern am Satzanfang, Eigennamen und besonders wichtigen Dingen (wie dem "President" oder dem "Big Mac") vorbehalten ist, wolle man künftig lieber vom "internet" mit kleinem Anfangsbuchstaben schreiben und damit das Netz in eine Reihe stellen mit dem Radio (englisch: "radio"), dem Telefon (englisch: "telephone") und dem Fernsehen (englisch: "TV", aber Ausnahmen bestätigen nur die Regel). Der Grund: Das Internet (im Deutschen bitte immer noch mit großem "I"!) sei im Leben eines Amerikaners nichts spezielles mehr und müsse deshalb auch nicht durch Großschreibung hervorgehoben werden.

Potenzial, Majonäse und das Netz

Was nun angesichts des Streits um Pontenzial und Majonäse eher trivial wirkt, lässt den Netzblicker doch ein wenig nachdenklich werden. Denn im Grunde haben die Wired News ja recht. Wehmütig mögen sich die alten Zausel unter uns daran erinnern, wie sie in nächtelangen Sitzungen ihr atemberaubend schnelles und ähnlich atemberaubend teures 2400er-Modem (nein, liebe Kinder, nicht 2400 kbit - 2400 bit pro Sekunde! Und damit meinen wir nicht unseren damaligen Bierkonsum!) zum Laufen bekamen. Endlos mögen wir unsere Nachkommenschaft mit Geschichten anöden, wie das war, als der Netscape-Browser ("was?") endlich frames ("wie?") unterstützte, und als wir unseren Datex-J-Anschluss ("häh??") der Deutschen Bundespost gegen einen CompuServe-Account ("lass den Alten doch reden...") eintauschten. Und mit leeren Blicken mögen wir uns an die Zeiten erinnern, als Email noch nicht für Körperteilvergrößerungen warben, als Viren noch mit Mitteln aus der Apotheke bekämpft werden konnten, und als Gigabytes noch in Großrechenzentren vorkamen und nicht in ganz ordinären Freemail-Angeboten.

Der Zausel seufzt

Vorbei, seufzt der Zausel in uns und akzeptiert widerwillig, in einer Welt zu leben, in der Kühlschränke ihre eigenen Email-Adressen haben (jedenfalls einige), und in der das Internet, ob mit großem oder kleinem Anfangsbuchstaben, nur noch ein Medium von vielen ist. Nur eines von vielen? Nein, denkt sich der Netzblicker, nicht das Medium an sich ist alltäglich und nicht der Rede wert geworden - der Zugang, einst teuer, exklusiv und eine Geduldsprobe, wurde zum Allgemeingut. Leise freut sich der Netzblicker, und dann macht er sich auf einen weiteren Streifzug durch die unendlichen Weiten des Wissens, Halbwissens und auch des Nichtwissens, die das Internet ausmachen.