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Evo bewegt sich

Ina Rottscheidt10. Januar 2008

In Bolivien schwelt seit langem der gewaltsame Streit um die neue Verfassung, die Parteien finden keinen gemeinsamen Nenner: Jetzt treten Regierung und Opposition erstmals zusammen, doch die Gegensätze sind groß.

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Boliviens Präsident Evo Morales bei dem ersten Treffen mit der Opposition, Foto: AP
Setzt auf die Einheit Boliviens: Evo MoralesBild: AP

Seit dem Amtsantritt von Evo Morales im Jahr 2005 befinden sich in Bolivien Opposition und Regierung im permanenten Konflikt. Auf dem bisherigen Höhepunkt erklärten sich die oppositionell regierten Provinzen Santa Cruz, Tarija, Pando, Beni sowie Cochabamba am 15. Dezember für autonom. Damit protestierten sie gegen den neuen Verfassungsentwurf, den die Regierungspartei MAS ("Bewegung zum Sozialismus") vier Tage zuvor mit einfacher Mehrheit ohne Anwesenheit der Opposition verabschiedet hatte.




Straßenschlachten und Demonstrationen in Sucre im November 2007, Foto: AP
Am Rande des Bürgerkrieges: Bolivien Ende 2007Bild: AP

Nach Wochen heftiger Auseinandersetzungen zwischen der Zentralregierung und diesen Provinzen, die zum Teil gewaltsam auf den Straßen ausgetragen wurden, haben sich nun Morales und die Präfekten der neun Provinzen des Landes erstmals wieder an einen Tisch gesetzt. Am Montag (14.1.2007) treten sie erneut zusammen und Carmen Beatriz Ruíz hält das für ein gutes Zeichen: "Dass Dialog wieder möglich ist, ist schon ein Fortschritt", sagt sie. Als Geschäftsführerin des NGO-Netzwerkes "Apostamos por Bolivia" war sie direkt am politischen Aushandlungsprozess beteiligt. Sie ist aber auch überzeugt, dass die Verhandlungen, ebenso wie die Konflikte und Spannungen, noch Monate oder gar Jahre andauern werden, denn die Divergenzen sind groß.

Verteilungsstreit

In dem Streit geht es vor allem um die Verteilung von Kompetenzen, nationalen Ressourcen und die zunehmende Spaltung des Landes: Die bevölkerungsreichen westlichen Provinzen, denen auch die Hauptstadt Sucre und der Regierungssitz La Paz angehören, sind nach dem Niedergang des Bergbaus verarmt. Die östlichen Provinzen hingegen, die aufgrund ihrer geografischen Lage "Provinzen des Halbmonds" (Media Luna) genannt werden, sind wohlhabend: Dort hat die Erschließung von Öl- und Gasreserven für eine profitable, wachsende Industrie und ein gut situiertes Bürgertum gesorgt. Rund die Hälfte des Bruttoinlandsproduktes wird dort erwirtschaftet.


In den Halbmond-Provinzen regt sich auch der größte Widerstand gegen den Verfassungsentwurf: "Morales und seine Partei verstehen unter Autonomie ein Recht auf Selbstverwaltung für die einzelnen indigenen Gruppierungen. Die Opposition dagegen besteht auf Verwaltungsautonomie und dabei geht es vor allem um die Einkünfte aus den reichen Erdgasvorkommen", erklärt der bolivianische Politikwissenschaftler Miguel Buitrago vom Hamburger GIGA-Institut für Lateinamerikastudien.




Weiterer Streitpunkt ist der Großgrundbesitz, der nach Vorstellungen des ersten indianischen Präsidenten in Bolivien reformiert werden soll. Das schließe Privateigentum nicht generell aus, so Buitrago: "Aber es gibt in Bolivien Menschen, die hunderttausende von Hektar Land besitzen, das nennt Morales 'unproduktives Land' und will es umverteilen." Vor dem Hintergrund der Geschichte des Landes, in der es immer wieder Auseinandersetzungen um die Landverteilung gab, findet Buitrago dieses Vorhaben gut: "Aber Enteignungen sind der falsche Weg. Die Regierung sollte das Land zurückkaufen und dann umverteilen", so sein Vorschlag.

Aymara in der Nähe des Titicaca-Sees, Foto: AP
Die neue Verfassung stärkt vor allem die Rechte der indigenen BevölkerungBild: AP

Zwei Staatsvisionen

Grundproblem seien zwei verschiedene Staatskonzepte, erklärt der Politikwissenschaftler: "Morales und seine MAS möchten einen Staat begründen, in dem traditionelle Elemente der indigenen Kultur, wie etwa die Gemeinschaftsjustiz, einfließen und die jeweiligen Gemeinschaften ein hohes Maß an Selbstverwaltung ausüben. Die Staatsvision der breit gefächerten Opposition hingegen basiert auf den klassischen Prinzipien von Nation und Rechtsstaatlichkeit." Auf der einen Seite stehen zentralistische und staatswirtschaftliche Bestrebungen, im Media Luna will man einen föderalen, wirtschaftsliberalen Staat.

Die ersten Treffen zwischen Regierung und Opposition haben jedoch gezeigt: Es gibt auch Gemeinsamkeiten. Konsens herrscht etwa über den Erhalt der Demokratie, der Gewaltenteilung und der Einheit des Landes. Fast alle Beteiligten zeigten sich bei dem Treffen auch bei der Verteilung der direkten Steuereinkünfte aus der Erdöl- und Erdgasförderung kompromissbereit. Und durch die baldige Wahl von Autonomieräten in allen neun Provinzen sollen überdies die Unabhängigkeitsbestrebungen in gesetzes- und verfassungskonforme Bahnen gelenkt werden.




An "Möglichkeiten zur Einigung" glaubt Wolfgang Börnsen (CDU), Vorsitzender der Deutsch-Südamerikanischen Parlamentariergruppe des Bundestags: "Morales weiß, dass die Frage der Verfassung auch eine Frage der Einheit seines Landes ist. Wenn er sich jetzt nicht bewegt, werden die Provinzen noch mehr Autonomie fordern, und dann könnte es tatsächlich zu einer Spaltung zwischen Hoch- und Tiefland kommen. Diese Spaltung will er vermeiden, darum wird er auf die Opposition zugehen."

Indiobauer vor einer Landkarte Boliviens, Foto: AP
Die Indigenen stellen die Mehrheit in BolivienBild: AP