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22.11.2010: Unter Gastarbeitern

22. November 2010

DW-Reporter Ali Almakhlafi wartet auf seinen Rückflug. Er fragt sich, ob die Pilgerfahrt in Mekka sein Bild von Saudi-Arabien verändert hat und schildert seine Gespräche mit ausländischen Arbeitern in dem Land.

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Taxifahrer Faisal aus Pakistan Rechte: DW/Ali Almakhlafi
Taxifahrer Faisal aus PakistanBild: DW/Almakhlafi

Ich sitze unter Hunderttausenden erschöpfter Pilger am Flughafen in Dschiddah und weiß: Das war’s nun. Tschüß Mekka und schön dass ich dabei sein durfte! Und Danke auch an die vielen User, die meine Reise kritisch begleitet und mir zahlreiche Fragen mitgegeben haben. Das hat mir wichtige Anregungen für meine Arbeit gegeben - und es hat auch Spaß gemacht! Ich bin stolz, mit meinen Tagebuch-Notizen sowohl Nicht-Muslime wie Muslime erreicht zu haben.

Übrigens reisen jetzt nicht alle Pilger nach Hause. Viele, die es sich erlauben können, hängen gleich ihren Urlaub dran. An den Sandstränden des Roten Meeres sieht man sie scharenweise als lässige Spaziergänger mit verdunkelten Sonnebrillen. Die Hotels hier sind voll - immer noch. Ich aber sitze mit dem großen Rest der „fliegenden Pilger“ am Flughafen. Der Andrang ist so gewaltig, dass wir aufgefordert wurden, schon sechs Stunden vor Abflug hier zu sein.

Ex-Pilger mit Sonnenbrillen

Pilger im Hotel Rechte: DW/Ali Almakhlafi
Pilger im HotelBild: DW/Almakhlafi

Vor meiner Reise nach Mekka kannte ich keinen einzigen Saudi persönlich. Ich kannte nur die gängigen Vorurteile, die sich viele andere Araber über die Saudis erzählen – gerade auch in meinem sehr armen Herkunftsland, dem Jemen. Von dort aus betrachtet, erscheinen sie schnell als übermäßig vom Leben verwöhnte „Brüder“ aus einem reichen Nachbarland, das einerseits eng mit dem Westen liiert ist und andererseits strengste islamische Sittenauslegung praktiziert - bis hin zu Auspeitschungen und Todesstrafen für Verstöße gegen die Scharia.

Ich war zu kurz hier, um dieses Bild auflösen oder gar hinterfragen zu können. Aber ich möchte ein paar davon abweichende Beobachtungen hinzu stellen, die vielleicht helfen könnten, die Menschen besser von ihrem Herrschaftssystem zu unterscheiden. Tatsächlich waren alle Saudis, die ich in den wenigen Tagen hier getroffen habe, nicht nur sehr freundlich – sie waren auch alle bemerkenswert weltoffen. Etwa die jungen Männer aus dem Organisationskomitee für den Hadsch: Sie haben alle studiert, nicht selten im Ausland. Und jeder von ihnen spricht mindestens drei Fremdsprachen. Sie lieben es, viel Spaß zu haben und ihren Berufsalltag mit Witzen aufzulockern. Zugleich sind sie stolze Muslime, die sehr empfindlich reagieren, wenn man den Islam auch nur indirekt mit Extremismus oder Terrorismus in Verbindung bringt. „Das lehnen wir total ab“, sagen sie. „Wir sind tolerant und offen auch gegenüber Nicht-Muslimen.“

Ali Almakhlafi mit jungen saudischen Mitarbeitern des Pilgerbüros Rechte: DW/Ali Almakhlafi
Ali Almakhlafi mit jungen saudischen Mitarbeitern des PilgerbürosBild: DW/Almakhlafi

Ich persönlich hatte das Gefühl, dass sie das ernst meinen und nicht bloß sagen, weil ich als Reporter eines westlichen Medien-unternehmens vor ihnen stehe. Aber was ist mit der staatlichen Politik? Hier gibt es Fakten, die einem ausländischen Publikum nicht zu vermitteln sind, wie das Verbot christlicher Symbole und der weitgehende Ausschluss der Frauen aus der Öffentlichkeit. Zudem werden Ausländer, die ins Land einreisen möchten, immer noch unter Vormundschaft eines Saudis gestellt, der für sie bürgen muss.

Muhammad spricht koreanisch

Auch Muhammad arbeitet für das Pilger-Informationsbüro. Er hat fünf Jahre in Südkorea studiert und dabei ausschließlich unter Einheimischen gelebt – die Sprache spricht er fließend. Noch heute schwärmt er von seiner Zeit in Fernost: "Die Koreaner sind wirklich sehr nett und liebevoll. Sie lieben geradezu die Fremden!“ Mir scheint, dass Muhammad dort wirklich bestens integriert war.

Die Straßen von Dschidda Rechte: DW/Ali Almakhlafi
Die Straßen von DschiddaBild: DW/Almakhlafi

Das sind so Momente, wo man mitten in Mekka plötzlich wieder an die Integrationsdebatte in Deutschland denkt. Ich frage mich: Funktioniert Integration wirklich so stark über die Sprache? Ich bezweifele dies spätestens seit meinem Treffen mit Bikhiit, dem speziell für die Hadsch-Zeit angeheuerten Klempner eines saudischen Prinzen für dessen Luxus-Pilgerzelt in Mekka.

Der Klempner des Prinzen

Bikhiit kommt aus Ägypten. Abgesehen vom unterschiedlichen Akzent, spricht er vermutlich genauso gut Arabisch wie der saudische Prinz, dessen Pilgerzelt er Jahr für Jahr mit fließendem warmem Wasser versorgt. Seit 16 Jahren arbeitet der Sanitärtechniker bereits in Saudi-Arabien - aber er hat keinen einzigen saudischen Freund. "Umgang mit Saudis habe ich nur während der Arbeit“, sagt er. „Das bisschen Freizeit am Abend verbringe ich mit ägyptischen Freunden in Cafes oder beim Fußball-Gucken“. Ich frage ihn, warum er privat keine Kontakte zu Einheimischen pflegt. Er sagt: "Wir Ägypter habe zum Beispiel unsere eigenen Essgewohnheiten.“ Mehr bekomme ich aus ihm nicht heraus.

Bikhiit, der Klempner des Prinzen Rechte: DW/Ali Almakhlafi
Bikhiit, der Klempner des PrinzenBild: DW/Almakhlafi

Auf den Klempner-Job beim saudischen Prinzen ist er aber unglaublich stolz. Und er ist seinem „normalen“ saudischen Arbeitgeber außerhalb der Hadsch-Zeit dankbar dafür, ihm dies zu ermöglichen. Bikhiit lebt sehr gerne in Saudi-Arabien, weil er hier mehr verdient, als dies in Ägypten bei seinem Job jemals möglich wäre. Der Preis dafür ist die Abgabe seines Passes beim Arbeitgeber – so schreibt es das Gesetz vor. Menschenrechtler prangern an, dass diese Praxis eine totale Abhängigkeit schaffe. Bikhiit sagt: „So kommt der Pass wenigstens nicht weg.“ Seine Familie lebt in Ägypten. Er besucht sie einmal jährlich.

Nepalese im Fünf-Sterne-Hotel

Auch Bahadur ist Gastarbeiter, allerdings aus Nepal. Der 23jährige macht in einem Fünf-Sterne-Hotel die Zimmer und reinigt die Sanitäranlagen, in denen die reichen Pilger sich duschen. "Ich bin sehr zufrieden mit dem Geld, das ich hier verdiene“, sagt er. Integration in die saudische Gesellschaft – das ist für ihn kein Thema und danach hat ihn hier auch noch niemals jemand gefragt. Obwohl das Königreich prozentual mehr Menschen ausländischer Herkunft beherbergt als beispielsweise Deutschland.

Bahadur aus Nepal Rechte: DW/Ali Almakhlafi
Bahadur aus NepalBild: DW/Almakhlafi

Ich fragte einen Saudi: „Ist es ein Problem, dass viele Gastarbeiter hier kein Arabisch sprechen?“ „Nein“, sagt er und versteht wohl auch nicht ganz, warum ich mich für die Sprachkompetenz preisgünstiger Arbeitskräfte interessiere: „Solange Gastarbeiter keinen Umgang mit Menschen haben, ist das kein Problem. Außerdem können viele Saudis doch Englisch!"

Einbürgerung unerwünscht

Meine letzte Begegnung ist Faisal, ein Taxifahrer aus Pakistan, der mich zum Flughafen chauffiert. Er spricht bewundernswert gut arabisch - aber das hilft ihm nicht dabei, sich hier gesellschaftlich zu integrieren oder Garantien für ein dauerhaftes Bleiberecht zu erhalten. „In den USA und in Australien kann man schon nach fünf Jahren die Staatsbürgerschaft erhalten“, schwärmt er, vielleicht etwas vereinfachend. „Aber einen saudischen Pass bekommt man selbst dann nicht, wenn man hier zwanzig Jahre lang legal lebt und arbeitet.“ Auch das gehört klar zur saudischen Realität: Einmal Gastarbeiter, immer Gastarbeiter.

Zum Abschied fragt mich Faisal: „Hast Du eigentlich einen deutschen Pass?“ - „Nein“, sage ich, „das ist auch gar nicht so einfach. Man muss mindestens acht Jahre lang dort legal gelebt und gearbeitet haben. Es gibt Einbürgerungstests und man muss auch ausreichende Sprachkenntnisse nachweisen.“ Faisal lächelt und ich lächele zurück: „Es ist aber immer noch viel einfacher als in Saudi-Arabien.“

Autor: Ali Almakhlafi, Dschiddah
Redaktion: Rainer Sollich